Für die 12-jährige Nyadat Pet wird der 15. April immer als ein dunkler Tag in ihrem Leben in Erinnerung bleiben. Es war der Tag, an dem alles auf den Kopf gestellt wurde.
Nyadat spielte gerade mit Freunden in der Nähe ihrer Häuser am Rande von Khartum, der Hauptstadt des Sudan, als sie Schüsse und Explosionen hörte. In den folgenden zwei Tagen wurden die Bombenanschläge und Schüsse immer häufiger und kamen immer näher an ihr Wohnviertel heran.
Als die Gefahr immer näher rückte, beschlossen ihre Eltern, außerhalb der Hauptstadt Zuflucht zu suchen. Für die Familie war es nicht das erste Mal, dass sie vertrieben wurde. Sie stammen ursprünglich aus dem Südsudan und flohen vor einem Jahrzehnt vor dem dortigen Konflikt in den Sudan.
Nyadat flüchtet aus dem Sudan in ihr Heimatland – doch niemand erkennt sie
Zusammen mit ihren drei Geschwistern und mehreren Nachbarn verließen Nyadat und ihre Familie ihr Haus in den frühen Morgenstunden. Sie befanden sich in der Nähe des Stadtrandes, als Nyadat einen gewaltigen Knall hörte – es war eine Bombe, die in der Nähe explodiert war.
Schreie und Rauch erfüllten die Luft, und Nyadat und ihre Geschwister verloren in dem entstehenden Durcheinander den Kontakt zu ihren Eltern. Neun Tage lang lebten sie unter einem Baum, der ihnen nur wenig Schutz vor den starken Regenfällen gab, und suchten nach Nahrung. Ihr Bruder erkrankte, und sie konnten nur hoffen, dass er sich schnell wieder erholte. Später wurden sie von einer Karawane von Südsudanes*innen, die ebenfalls vor der Gewalt flohen, gerettet und nach Renk, einer Grenzstadt im Südsudan, gebracht.
Nyadat und ihre Geschwister mussten nochmals einige Tage warten, bis sie in ein von der Regierung geschicktes Boot steigen konnten, das sie über den Weißen Nil zu dem Dorf brachte, in dem ihre Familie einst gelebt hatte. Doch die Erleichterung war nur von kurzer Dauer: Als sie dort ankamen, mussten die Kinder feststellen, dass sie von niemandem in der Gegend erkannt wurden. Ihre Familie war schließlich seit zehn Jahren nicht mehr hier gewesen.
Die vier Kinder wussten nicht, wohin sie gehen sollten – bis sie jemand an das Zentrum von Aktion gegen den Hunger in New Fangak verwies. Hier werden ehemalige Geflüchtete aufgenommen und versorgt.
Nyadat im Gespräch mit einem Mitarbeiter von Aktion gegen den Hunger. Durch die Registrierung kann sie am Bargeldhilfe-Programm im Camp für Geflüchtete in New Fangak teilnehmen. Das Programm gilt für Menschen wie sie, die einst in den Sudan geflüchtet sind und nun aufgrund der Kämpfe dort in den Südsudan zurückkehren mussten und nichts mehr haben.
Geflüchtete, die nach Jahren in ihre Heimat zurückkehren, stehen beim Wiederaufbau ihres Lebens oft vor vielen Herausforderungen. Seit dem Ausbruch des Konflikts im Sudan sieht sich der Bezirk Fangak im Südsudan einen Zustrom von Rückkehrer*innen über seine nördliche Grenze gegenüber. Die meisten davon lassen sich vorerst in News Fangak nieder.
New Fangak – Ort der Zuflucht mit eigenen Problemen
Doch auch hier gibt es große Probleme: Das Dorf New Fangak wurde von den Überschwemmungen und Konflikten der vergangenen Jahre stark in Mitleidenschaft gezogen. Für die Bewohner*innen ist es schwierig, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Da jeden Tag Hunderte von Rückkehrer*innen eintreffen, sind die lokalen Ressourcen überlastet, was die Wiederansiedlung zu einer Herausforderung macht. Grundlegende Dienstleistungen wie Gesundheitsfürsorge, Nahrungsmittel, Wasser, sanitäre Einrichtungen und hygienische Infrastrukturen stoßen an ihre Grenzen. Infolge der unzureichenden Versorgung, der begrenzten Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln und des Ausbruchs von Krankheiten nimmt die Mangelernährung in der Gegend rapide zu.
Viele Menschen – so auch Nyadats Familie – sind vor rund zehn Jahren vor dem Konflikt im Südsudan geflüchtet. In der Zwischenzeit hat das junge Land zusätzlich mit starken Überflutungen zu kämpfen gehabt, die es der Bevölkerung bis heute erschweren, Nahrungsmittel anzubauen. Es wird immer schwerer, nun auch die Rückkehrer*innen mit genügend Nahrungsmitteln zu versorgen.
Aktion gegen den Hunger reagiert mit Unterstützung des EU-Katastrophenschutzes und humanitärer Hilfe auf diese Krise und unterstützt die lokale Bevölkerung und die Rückkehrer*innen mit lebensrettenden Maßnahmen:
Unsere Teams verteilen Bargeld,
stellen Hygieneartikel wie Seife, Eimer, Plastikplanen und Wasserreinigungstabletten zur Verfügung und
bauen provisorische Latrinen, um die Zahl der offenen Toiletten zu verringern und die Verbreitung von Krankheiten zu verhindern.
„Unmittelbar nach Ausbruch des Konflikts im Sudan haben wir einen Krisenreaktionsplan für die Menschen entwickelt, die in den Südsudan zurückkehren“, sagt Lorjock Riak, Programmmanager von Aktion gegen den Hunger im Südsudan. „Mit diesem Plan wollen wir ihnen langfristige Unterstützung bieten. Unser derzeitiger Schwerpunkt liegt jedoch auf der unmittelbaren Notwendigkeit, humanitäre Hilfe zu leisten.“
In New Fangak finden Nyadat, ihre Geschwister und tausende andere Rückkehrer*innen zeitweise Unterschlupf und Unterstützung. Die Geschwister hoffen, hier ihre Eltern wiederzufinden.
Im Lager in New Fangak erhielten Nyadat und ihre Geschwister in der Zwischenzeit eine vorübergehende Unterkunft und werden von Aktion gegen den Hunger versorgt. Ihr kranker Bruder wurde zur Behandlung und Pflege in das von Aktion gegen den Hunger betriebene örtliche Gesundheitszentrum gebracht.
Während sie nun darauf warten, zu erfahren, was mit ihren Eltern passiert ist, kümmert sich eine andere Familie um sie. Nyadat erhielt von Aktion gegen den Hunger Bargeld, mit dem sie lebenswichtige Dinge für ihre Geschwister kaufen konnte.
„Mit der vorübergehenden Unterkunft und der unermüdlichen Unterstützung von Aktion gegen den Hunger brennt in mir und anderen Rückkehrer*innen und Geflüchteten eine neue Flamme der Hoffnung, auch wenn der Sudan, der seit zehn Jahren meine Heimat ist, mit den verheerenden Folgen des Konflikts zu kämpfen hat“, sagt Nyadat.
Trotz all der Herausforderungen der letzten drei Monate hat das Mädchen immer noch ein strahlendes Lächeln auf ihren Lippen. Sie und die Tausenden anderen Rückkehrer*innen in den Unterkünften von Aktion gegen den Hunger sind Überlebende – und sie geben die Hoffnung auf eine bessere Zukunft nicht auf.