Paguir im Südsudan steht seit Jahren unter Wasser. Regen und überlaufende Flüsse – zum Teil ausgelöst durch den Klimawandel – haben die umliegenden Dörfer nahezu überflutet. Die Überschwemmungen haben Ernten zerstört, das Trinkwasser verschmutzt, durch Wasser übertragene Krankheiten verbreitet und Lebensgrundlagen zerstört. Tausende kämpfen darum, sich und ihre Familien zu ernähren.
Die Menschen in Paguir brauchten eine rettende Idee, und zwar schnell. Sie waren entschlossen, gemeinsam eine Lösung zu finden. Selbst als die Fluten alle Hoffnungen wegzuspülen schienen, gaben sie nicht auf. Gemeinsam überlegten die Gemeindemitglieder – und schnell war die Idee einer Wasserstraße geboren.
Überschwemmungen in Paguir: Wasserstraße war dringend nötig
Schon vor den letzten großen Überschwemmungen war Paguir jahrelang praktisch vom Rest der Welt abgeschnitten gewesen. Bootsfahrer waren gezwungen, dichte Gräser und hohe Pflanzen unter der Wasseroberfläche zu umschiffen. Um durchzukommen, musste man das Gestrüpp abschneiden und gewaltsam beiseite schieben – ein Vorgang, der Stunden dauern konnte.
Vor den neuen Wasserstraßen war es für die Menschen in Paguir schwierig, die überfluteten Gebiete mit ihren alten Baumstamm-Kanus zu durchqueren. Die Boote mussten oft per Hand gezogen werden, was den Weg um Stunden verlängern konnte.
„Wenn man nach Paguir wollte, musste man vier Stunden lang in einem unserer Kanus sitzen. So ein Kanu ist nichts anderes als ein ausgehöhlter Baumstamm. Entsprechend unbequem sind sie auch. Man kann darin höchstens kurzzeitig die Beine ausstrecken, muss sie aber schnell wieder anwinkeln, damit man sicher sitzt“, erzählt Joe Joe Zubahyeah, Leiter der Basis von Aktion gegen den Hunger in Paguir. Er war schockiert darüber, wie viel die Bewohner*innen und seine Mitarbeiter*innen ertragen mussten, um das kleine Dorf zu erreichen.
Weite Wege durch Sumpflandschaften
Nach drei Jahren Überschwemmungen wurde das Problem immer größer. Viele Gebiete von Paguir waren nur noch mit gecharterten Flugzeugen zu erreichen – aber die Landebahnen sind oft mit Wasser bedeckt, so dass nicht alle nutzbar sind. In Notsituationen mussten kranke oder verletzte Bewohner stundenlang auf Hilfe warten.
Aktion gegen den Hunger, die erste und nach wie vor eine der wenigen humanitären Organisationen, die in Paguir tätig ist, sah sich mit unzähligen Herausforderungen konfrontiert, wenn es darum ging, lebensrettende Hilfe in die Gemeinde zu bringen. Unsere Teams mussten oft Vorräte auf dem Rücken durch die Sümpfe tragen, um das erste kommunale Ernährungs- und Gesundheitszentrum in der Region einzurichten, Wasserstellen zu erbauen und Nahrungsmittelhilfe zu leisten.
Als sich das Wasser nicht zurückzog und die Jahre vergingen, fingen die Dorfbewohner*innen an, gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Das Ziel: ein sicherer Wasserweg durch das Sumpfgras, auf dem die Boote problemlos fahren konnten.
„Wir alle haben unter dem Wasser gelitten. Und Humanitäre Hilfe konnte uns kaum erreichen, weil die Straße blockiert war. Deshalb haben wir uns freiwillig gemeldet, um den Weg freizumachen“, sagt Tito Biel, einer der vielen Dorfbewohner, die beim Bau der Wasserstraße geholfen haben. Mit der Sichel in der Hand – und ohne zu zögern – schnitt Tito das Gras durch.
Endlich ein sicherer Weg nach Paguir
Mit Unterstützung von Aktion gegen den Hunger übernahmen Dutzende von Dorfbewohner*innen die anstrengende Aufgabe und kamen schnell voran. Auch die örtlichen Behörden unterstützten die Bemühungen und waren stolz auf das Dorf, weil es ein so ehrgeiziges Ziel erreichen wollte. Etwa 50 Menschen arbeiteten sich täglich durch rund neun Meter Wasserweg. Sie wurden mit Lebensmitteln und Bargeld unterstützt, um sich und ihre Familien während der Arbeit zu versorgen.
Freiwillige Helfer von Aktion gegen den Hunger räumen die Wasserstraße frei von Grasbüscheln und Wurzeln, die den zuvor schmalen Weg blockiert haben. Sie vergrößern die Wasserstraße so, damit auch größere Boote zwischen Old Fangak und Paguir im Südsudan schnell passieren können. Zuvor waren die Menschen auf kleine Kanus angewiesen, die große Teile der Strecke mühsam gezogen werden mussten.
„Die Menschen, die bisher nur von Fisch und Seerosen lebten, konnten mit diesem Geld ihre Familie ernähren, während sie an der Eröffnung des Wasserweges arbeiteten – zum Wohle der Gemeinde und auch von Aktion gegen den Hunger“, sagt James Gatluak, Leiter des Gesundheits- und Ernährungsprogramms von Aktion gegen den Hunger in Paguir.
Nach vier Monaten war die Wasserstraße fertiggestellt. Die Gemeinden ernten bereits die Früchte: Die Medikamente kommen pünktlich an. Ärzt*innen können ihre dringenden Patienten behandeln. Der Handel und die lokalen Unternehmen wachsen schnell. Humanitäre Organisationen können ihre Lieferungen koordinieren und die Wasserstraße für den Transport dringend benötigter Güter nutzen.
Die breite Wasserstraße macht es der Bevölkerung leicht, auch große Gegenstände wie diese blauen Rohre zu transportieren, die dabei helfen sollen, die Infrastruktur Paguirs und anderer Dörfer wiederaufzubauen.
Viele junge Menschen in Paguir sind in den Jahren des Bürgerkrieges im Südsudan aufgewachsen. Sie waren gefangen in einem Kreislauf aus Gewalt und Konflikten. Die meisten hatten keine andere Wahl, als sich gewalttätigen kriminellen Gruppen anzuschließen. Viele wurden daraufhin von ihren Gemeinden verstoßen. Sie wurden während der Überschwemmungen erwachsen – ohne Bauernhöfe, die sie bewirtschaften konnten, ohne Vieh, das sie hüten, ohne Arbeit, auf die sie sich konzentrieren konnten, und ohne Geld. Der Griff zur Waffe, die Nähe zu den Banden war nicht weit.
Ein immer größer werdender Markt
Heute haben die jungen Menschen in der Gegend bessere Chancen – dank der Möglichkeiten, die sich durch die Wasserstraße und andere wirtschaftliche Initiativen ergeben haben. Sie können ein Gefühl von Zielstrebigkeit und Stolz auf ihr Dorf entwickeln. Sie können sich wieder sicher sein, dass sie in der Lage sind, sich selbst zu ernähren. Ihre Vergangenheit hindert sie nicht an einer vielversprechenden Zukunft!
„Vorher war ich einfach nur untätig. Ich hatte keine Arbeit“, sagt Gatwech Luok, ein 20-jähriger Ladenbesitzer. „Bis ich auf die Idee kam, ein Geschäft zu eröffnen. Ich habe lange Zeit Fische im Fluss gefangen und sie dann verkauft, um Geld zu verdienen. Ich brauchte sechs Monate [um genug zu sparen, um den Laden zu eröffnen].“
Vor fünf Jahren gab es in Paguir noch kein Gesundheitszentrum. Vor drei Jahren gab es nicht einen einzigen Marktstand. Jetzt ist die Gesundheitsversorgung für alle zugänglich, und der Handel floriert.
„Diese Wasserstraße ist eine große Hilfe für uns“, fügt Gatwech hinzu. Er verbringt seine Tage in seinem Laden, in dem er ein umfangreiches Sortiment aus Speiseöl, Zucker und Gewürzen verkauft. „Bevor Aktion gegen den Hunger diese Wasserstraße zusammen mit uns gebaut hat, konnten wir keine Waren aus Old Fangak oder anderswoher bekommen. Sie konnten uns einfach nicht erreichen.“
Lam, ein weiterer Jugendlicher aus Paguir, erzählt ebenfalls, wie sich sein Leben verändert hat. Die Wasserstraße hat ihm buchstäblich neue Wege eröffnet. Letztes Jahr startete der 23-Jährige in der Morgendämmerung und ruderte vier Stunden bis nach Old Fangak. Dort kaufte er hochpreisige Waren, um seinen Traum vom eigenen Geschäft zu verwirklichen. Dann ruderte er vier Stunden zurück – mit so vielen Waren wie möglich. Eine mühselige Arbeit.
Jetzt ist der Wasserweg für Lam eine Art Schnellstraße geworden. Er kann nicht nur in der Hälfte der Zeit nach Old Fangak fahren, sondern erreicht auch Juba, die Hauptstadt des Südsudan – ein Ort, von dem er bisher nur geträumt hatte.
Vor dem Bau der Wasserstraße war es für diese beiden Mitarbeiter von Aktion gegen den Hunger aus dem Südsudan schwer, Paguir zu erreichen. Heute kann der Ort florieren.
„Die Wasserstraße hat uns viele Verbindungen zu anderen Orten eröffnet“, sagt Lam. Zum ersten Mal überhaupt kann der junge Mann seinen Gewinn nutzen, um seine Ziele zu verfolgen. Denn er hat einen großen Traum: „Wenn ich genug Geld habe, werde ich vom Verkauf von Lebensmitteln auf den Verkauf von Kleidung umsteigen. Und dann kann ich in Zukunft vielleicht Wirtschaft studieren.“
Derzeit liefert Lam noch Säcke mit Sorghum an Restaurants in Paguir. Diew Yak, eine Restaurantbesitzerin, hätte ohne dieses lebenswichtige Gut keinen Lebensunterhalt.
„Ohne die Wasserstraße würde ich nicht genug Sorghum bekommen, um meine Kisras zu backen – ein sudanesisches Fladenbrot. Ich müsste das Geschäft schließen“, sagt sie. „Dieses Restaurant funktioniert nur wegen der Wasserstraße. Wäre sie nicht da, gäbe es auch diese kleinen Läden wie meinen nicht mehr.“
Jahre, nachdem die Überschwemmungen Hunderte von Existenzen weggespült haben, finden die Menschen in Paguir endlich Wege für einen Neuanfang. Die Wasserstraße hat ihnen einen neuen Weg zu Handel, Reisen, Nahrungsmittelsicherheit und Gesundheitsversorgung eröffnet.