Was ist eigentlich Ernährungsunsicherheit? Der Begriff beschreibt – ganz grob gesagt – die Situation, nicht zu wissen, ob und was man am nächsten Tag an Nahrung zur Verfügung hat. Menschen, die von Ernährungsunsicherheit betroffen sind, können nicht einfach den Kühlschrank aufmachen und sich etwas kochen. Sie können auch nicht in den nächsten Supermarkt gehen und sich Brot, Obst und Co kaufen. Ob am nächsten Tag etwas zu Essen den Hunger stillen kann, ist ungewiss.
Hunger Hotspots: Wie Krisen, Klima und Preise Menschenleben bedrohen
So wird es im Jahr 2025 voraussichtlich hunderten Millionen Menschen weltweit gehen. Betroffen sind vor allem Länder des globalen Südens – insbesondere auf dem afrikanischen Kontinent –, in denen Klima-Extreme Ernten ausfallen lassen sowie Kriege und Konflikte Import sowie eigene Versorgung erschweren und Menschen vertreiben. Die Folge: Märkte vor Ort müssen schließen, haben nicht genug Waren und die Preise für Nahrungsmittel steigen horrend an.
Das World Food Programme (WFP) hat zusammen mit der FAO (Food and Agriculture Organization of the United Nations) allein für November 2024 bis Mai 2025 bis Oktober 2024 insgesamt 22 Länder identifiziert, die in diesem Zeitraum besonders stark von Ernährungsunsicherheit betroffen sein werden: sogenannte Hunger Hotspots.
Diese 22 Länder und Regionen sind 2024 und 2025 besonders betroffen
Besonders hart trifft es bereits jetzt als auch zukünftig die Menschen in den besetzten palästinensischen Gebieten (insbesondere im Gazastreifen), im Sudan und Südsudan, Mali und Haiti. In diesen fünf Regionen ist die Lage weiterhin besonders besorgniserregend. Voraussichtlich verschlechtern wird sich die Hungersituation außerdem im Tschad, Libanon, Myanmar, Mosambik, Nigeria, Syrien und Jemen. Diese Länder gelten als sogenannte “hotspots of very high concern”, zu deutsch etwa “sehr besorgnis erregende Bereiche”. Neu hinzugekommen seit der letzten Ausgabe des zweimal im Jahr erscheinenden Reports sind Kenia, Lesotho, Namibia und Niger. Betroffen sind außerdem weiterhin Burkina Faso, Äthiopien, Malawi, Somalia, Sambia und Simbabwe.
Insbesondere in den fünf Ländern und Regionen mit der größten Gefahr für Hunger gibt es Gegenden, in denen Menschen entweder schon jetzt oder in naher Zukunft kurz vor dem Verhungern stehen. Die IPC-Klassifikation – die IPC ist die internationale fünfstufige Krisenskala – liegt hier in Phase 5. Das bedeutet: Die Menschen in den betroffenen Gebieten sind von Hungersnot bedroht und die akute Unterernährung wird als extrem kritisch angesehen.
Konflikte und Klimakrise treiben den Hunger
Die Gründe für Hunger sind vielfältig. Konflikte, insbesondere Angriffe auf die Zivilbevölkerung, sind nach wie vor die Hauptursache für den Hunger in der Welt. Der ohnehin schon eingeschränkte Zugang zu Nahrungsmitteln in einem von Krieg geschüttelten Land verschlechtert sich durch die Störung der globalen Märkte noch weiter. Menschen, die aus ihrer Heimat fliehen, müssen auch ihr Land und die Möglichkeit, ihre eigenen Nahrungsmittel anzubauen, zurücklassen. Durch Konflikte und Kriege hervorgerufene Hungerkrisen werden vor allem im Gazastreifen, im Sudan sowie im Südsudan, Haiti und Mali erwartet.
Doch auch der Einfluss von klimatischen Extremen treibt die Ernährungsunsicherheit vielerorts hoch. Längst ist der Klimawandel bittere tägliche Realität für Menschen rund um den Globus. El Niño, ein Klimamuster, das die ungewöhnliche Erwärmung des Oberflächenwassers im Pazifischen Ozean beschreibt – erreichte seinen Höhepunkt im September 2023 und hat bis heute negative Auswirkungen in Südostasien und Lateinamerika.
Sichtbar werden die Auswirkungen besonders stark in Ostafrika, wo vielerorts schwere Überflutungen auf eine jahrelange Dürre folgten, während in anderen Gegenden noch immer Millionen Menschen auf der Suche nach Wasser sind.
Immer wieder kommt es in Gaza zu Angriffen, so dass die meisten Familien bereits mehrfach flüchten mussten. Kein Ort in Gaza ist mehr sicher.
Besetzte palästinensische Gebiete
Im Gazastreifen ist nahezu die gesamte Bevölkerung auf der Flucht. Es wird damit gerechnet, dass zwischen November 2024 und Mai 2025 rund 876.000 Menschen unter akuter Ernährungssicherheit, IPC Stufe 4, leiden werden – das sind 41 Prozent der Bevölkerung. Hinzu kommen 345.000 Menschen, für die eine katastrophale Ernährungsunsicherheit erwartet wird – IPC Stufe 5, etwa 16 Prozent der Bevölkerung.
Der anhaltende Konflikt richtet im Gazastreifen verheerende Schäden an: Er fordert eine große Zahl von Opfern und führt immer wieder zur Vertreibung unzähliger Menschen aus ihren Unterkünften.
Die fast vollständige Blockade des Gazastreifens verhindert, dass lebenswichtige Nahrungsmittel, Treibstoff und Wasser ins Land gelangen. Eine Hungersnot ist eine unmittelbare Bedrohung.
Die Arbeit von Aktion gegen den Hunger in den besetzten palästinensischen Gebieten
Wir arbeiten seit 2005 im Gazastreifen und seit 2002 im Westjordanland, so dass wir im Oktober 2023 sofort mit unserer Nothilfe beginnen konnten. Seitdem haben wir über 1,1 Millionen Menschen erreicht, davon über 916.000 durch Wasser-, Sanitär- und Hygieneprogramme (WASH).
Unsere Programme in den besetzten palästinensischen Gebieten umfassen
- Bereitstellung von sauberem Wasser, sicheren Toiletten und guter Hygiene – auch in Gesundheitseinrichtungen.
- Verteilen von Lebensmittelpaketen und Bereitstellung von Bargeld, damit die Menschen kaufen können, was sie brauchen.
- Unterstützung bei der Weiterführung von Arbeit, vor allem wirtschaftliches Empowerment für Frauen und junge Menschen.
In Gaza arbeiten unsere Nothilfeteams auch jetzt unermüdlich weiter, um:
- warme Mahlzeiten und Hygienepakete zu verteilen.
- Mütter und Säuglinge mit Lebensmitteln und wichtiger Nahrungsergänzung zu unterstützen.
- sauberes Wasser bereitzustellen.
- Notunterkünfte für flüchtende Familien bereitzustellen.
Die Überschwemmungen im Südsudan stellen Familien vor große Herausforderungen.
Sudan
Die verheerenden Auswirkungen des Konflikts im Sudan ziehen immer weitere Kreise. Seit der Eskalation der Auseinandersetzungen im April 2023 sind 14 Millionen Menschen aus ihren Häusern geflohen. 11 Millionen sind innerhalb des Landes auf der Flucht, während rund 3,1 Millionen Menschen den Sudan verlassen haben und in die Nachbarländer geflüchtet sind, insbesondere in den Tschad und den Südsudan. Beide Länder haben ebenfalls mit multiplen Krisen zu kämpfen. Seit Januar 2024 sind die Kämpfe in mehreren Bundesstaaten weiter eskaliert.
Schäden, Plünderungen und die Zerstörung wichtiger Infrastrukturen haben die Produktion und Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln beeinträchtigt und die ohnehin schon gefährliche Hungerkrise weiter verschärft. Der Sudan ist zunehmend von Nahrungsmittelimporten abhängig, doch die Krise am Roten Meer hat zu steigenden Kosten und einer geringeren Verfügbarkeit geführt. All dies bedeutet, dass sich die Nahrungsmittelkrise rasch verschärft hat. In einem Geflüchtetencamp in Nord-Darfur wurde bereits eine Hungersnot ausgerufen.
Rund 21,1 Millionen Menschen wissen nicht, woher ihre nächste Mahlzeit kommt – sie sind mindestens in die IPC-Stufe 3 eingestuft. Darunter befinden sich 6,4 Millionen Menschen in Stufe 4. Zur Jahresmitte 2024 wurde erwartet, dass 3,7 Millionen Kinder akut unterernährt sind – ein Anstieg von 22 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Südsudan
Für den Südsudan wurde im vergangenen Report prognostiziert, dass sich die Zahl der von Hunger und Tod betroffenen Menschen zwischen April und Juli 2024 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum auf 79.000 Menschen in IPC Phase 5 fast verdoppeln wird. Für rund 2,3 Millionen Menschen wurde IPC Phase 4 erwartet.
Nun erwartet das Gremium, dass sich die Situation mit der nächsten Hungerperiode ab Mai 2025 weiter verschärft. Die vorhandenen Ressourcen werden auch aufgrund des eskalierenden Konflikts im Sudan stärker zu verteilen sein, weil Menschen aus dem Sudan in den Südsudan fliehen oder dorthin zurückkehren.
Die Arbeit von Aktion gegen den Hunger im Südsudan
Aktion gegen den Hunger ist vielerorts im Südsudan die einzige Hilfsorganisation, die in entlegenen Gebieten lebensrettende Gesundheits- und Ernährungsdienste anbietet. Wir haben mehr als 5.000 Bauern mit Schulungen und Werkzeugen für den Anbau nahrhafter Pflanzen unterstützt und behandeln weiterhin Kinder sowie schwangere und stillende Frauen wegen Unterernährung. Außerdem verteilen wir lebenswichtige Lebensmittelkörbe an Familien, die von Überschwemmungen betroffen sind, und sorgen für Zugang zu sauberem Wasser, guter Hygiene und sicheren Toiletten.
Mali
In Mali kommt es seit Jahren immer wieder zu Kämpfen zwischen rivalisierenden Gruppen, die allein seit Ende 2023 hunderttausende Menschen in die Flucht gezwungen haben, nachdem eine UN-Mission im Dezember 2023 zurückgezogen wurde. Ein großes Problem dabei sind Blockaden, die von gewalttätigen Gruppen errichtet werden und verhindern, dass Lebensmittel zu lokalen Märkten transportiert werden können. Auch Hilfsgüter für bedürftige Menschen werden dadurch regelmäßig abgefangen. In Mali sind immer mehr Menschen mit einem kritischen Niveau der Ernährungssicherheit konfrontiert. Auch im aktuellen Hunger-Hotspots-Report zählt das Land daher zu den fünf Ländern mit der schwierigsten Ernährungssituation. Im Norden des Landes wird durch die Konfliktsituation und die Blockaden für mindestens 2.500 Menschen ein Anstieg auf IPC-Stufe 5 (Hungerkatastrophe) erwartet. Für mindestens 121.000 Menschen wird IPC-Stufe 4 erwartet.
Die Arbeit von Aktion gegen den Hunger in Mali
Um den von der Gewalt vertriebenen Menschen in Mali zu helfen, haben unsere Teams sie mit nahrhaften Lebensmitteln, sauberem Wasser, guter Hygiene und sicheren Toiletten versorgt. Außerdem bieten wir mit unseren mobilen Kliniken weiterhin Gesundheitsdienste an und unterstützen die vom Konflikt betroffenen Menschen bei der psychischen Gesundheit.
Diese Frau und ihr Kind leben in einem Geflüchtetenlager in Mali. Sie gehören zu den vielen Menschen, die vor Gewalt fliehen und nun unter prekären Bedingungen leben. Teilweise werden diese Lager rund um Mülldeponien errichtet. Paradox: Der Müll ist oft die einzige Einnahmequelle der Frauen in den Lagern.
Haiti
Die eskalierende Gewalt, der langsame Übergang zu einer neuen Führung und eine lange Wirtschaftskrise haben dazu geführt, dass Haiti auf der Liste der Länder verbleibt, in denen die größte Gefahr des Hungers besteht. Die anhaltenden gewaltsamen Angriffe bewaffneter Gruppen vor allem rund um die Hauptstadt Port-au-Prince zwingen immer mehr Menschen in die Flucht.
Extreme Regenfälle, die Zunahme von Wirbelstürmen und die hohen Temperaturen verschärfen die ohnehin schon kritische Unterernährung noch weiter, das Risiko einer Hungerkatastrophe besteht weiterhin, die Situation könnte sich sogar noch verschlimmern. Die akute Ernährungsunsicherheit in Haiti gehört zu den höchsten weltweit.
Bis Mitte 2025 wird erwartet, dass 2 Millionen Menschen (18 Prozent der analysierten Bevölkerung) in IPC-Stufe 4 fallen, für 6.000 Menschen wird eine Hungerkatastrophe (IPC-Stufe 5) erwartet.
Die Arbeit von Aktion gegen den Hunger in Haiti
Wir arbeiten seit 1985 in Haiti. Unsere Teams haben Lebensmittelkörbe verteilt, Gesundheitsdienstleister unterstützt und dazu beigetragen, die Kapazitäten der Gemeinschaft zur Bekämpfung und Behandlung von Unterernährung zu stärken. Wir haben Kinder sowie schwangere und stillende Mütter auf Unterernährung untersucht.
Während des Cholera-Ausbruchs im Jahr 2022 haben wir die Menschen darüber aufgeklärt, wie sie die Krankheit durch gesunde Hygiene eindämmen können, haben sauberes Wasser bereitgestellt und die Infizierten behandelt.
Menschen weltweit brauchen jetzt Unterstützung
Ohne humanitäre Hilfe stehen Menschen in vielen Regionen weltweit am Abgrund. Aktion gegen den Hunger ist in 56 Ländern und Regionen weltweit im Einsatz und unterstützt die Menschen in den palästinensischen Gebieten, im Sudan und im Südsudan, im Jemen, Haiti, Mali und vielen anderen Gegenden in diesen schweren Zeiten. Mit Bäuerinnen und Bauern etwa arbeiten wir an Dürre-resistenten Anbaumethoden und unterstützen Familien mit Nahrung und Bargeld, damit sie sich selbst versorgen können. Wir diagnostizieren und behandeln mangelernährte Kinder, Frauen und Männer und helfen ihnen, wieder zu Kräften zu kommen.
Helfen Sie uns dabei, die Hunger Hotspots auszumerzen und den Menschen eine Zukunft zu schenken? Gemeinsam können wir Menschen vor der Hungersnot schützen.
Hinweis: Dieser Artikel wurde im Jahr 2022 zum ersten Mal veröffentlicht und ist seit Erscheinen des Hunger Hotspots Report im Oktober 2024 überarbeitet worden.