Ein Mann sitzt auf einem Stuhl in Piura, im Norden Perus, und schält Mais.

Nahrung – ein Menschenrecht in Gefahr

Welche Bedingungen braucht ein Mensch, um würdevoll zu leben? Welche Rechte muss der Staat schützen und verteidigen? Zu einer Einigung dazu kam die internationale Staatengemeinschaft in der internationalen Erklärung der Menschenrechte – zu denen auch das Recht auf Nahrung gehört. Doch was garantiert sein sollte, ist heute mehr denn je in Gefahr. 

Wieso ist das Recht auf Nahrung in Gefahr?

Weltweit werden mehr als genug Nahrungsmittel produziert, um alle Menschen zu ernähren – dennoch leiden bis zu 783 Millionen Menschen Hunger.

Drei Personen auf orangefarbenem Hintergrund

783 Millionen Menschen weltweit hungern.

Eine Schüssel und ein Löffel auf orangefarbenem Hintergrund

Jeder zehnte Mensch auf der Erde geht regelmäßig hungrig zu Bett. 

Ein Baby auf orangefarbenem Hintergrund

Jedes vierte bis fünfte Kind unter fünf Jahren ist chronisch mangelernährt. 

Hunger ist vor allem die Folge von Verteilungsungerechtigkeit aufgrund neokolonialer Handels- und Machtstrukturen. So ist beispielsweise die industrialisierte Landwirtschaft samt Verarbeitungs- und Vermarktungsprozessen nicht darauf ausgelegt, eine gerechte Wertschöpfung zu realisieren, die gesunde Ernährung für alle ermöglicht. Es profitieren vor allem multinationale Konzerne, die dank ihrer massiven Marktmacht die Preisbildung auf dem Weltmarkt zu ihren Gunsten beeinflussen. Gleichzeitig können kleine Produzent*innen von ihrer Arbeit kaum leben und werden häufig – beispielsweise durch Saatgut- und Düngemittelmonopole – in Abhängigkeiten zu großen Unternehmen gezwungen.  

Am stärksten von sogenannter Ernährungsunsicherheit betroffen sind Frauen und andere marginalisierte Gruppen, da sie kulturell und strukturell benachteiligt werden. Beispielsweise haben Frauen häufig keinen Zugang zu Bildung, eigenen Einkommen oder Land, wobei sie gleichzeitig für die Versorgung ihrer Familien mit Nahrung verantwortlich sind. 60 Prozent der Hunger leidenden Personen sind weiblich. 

 

Was ist Ernährungssicherheit?

Salama Madinda steht in ihrem Gemüsegarten in Tansania und lächelt in die Kamera.

Ernährungssicherheit (auch Nahrungssicherheit) ist gegeben, wenn alle Menschen zu jeder Zeit physischen, sozialen und wirtschaftlichen Zugang zu ausreichenden, sicheren und nahrhaften Lebensmitteln haben, um ihre Ernährungsbedürfnisse und -präferenzen für ein aktives und gesundes Leben zu erfüllen. Das Recht auf Nahrung umfasst streng genommen auch nicht nur das Recht auf ausreichend Essen, sondern auf angemessene Ernährung. Ein voller Bauch ist oft längst nicht gleichzusetzen mit einer angemessenen Versorgung mit Nährstoffen.

Welt im Wandel

Auch aktuelle Herausforderungen haben zu einem Anstieg von Menschen in Ernährungsunsicherheit geführt.  

Der Klimawandel raubt beispielsweise durch immer heftigere Dürreperioden auf der einen Seite und Stürmen oder Überschwemmungen auf der anderen Seite jährlich Millionen von Menschen die Lebensgrundlagen. Gleichzeitig gibt es immer mehr Menschen, die wegen gewaltsamen Konflikten ihr Zuhause verlassen müssen – und somit meist auch ihre Einkommensmöglichkeiten. Wegen der instabilen politischen Weltlage verlagert sich der Fokus vieler Nationalstaaten zudem eher hin zu innenpolitischen Debatten und es werden immer weniger Gelder der internationalen Bekämpfung des Hungers, der humanitären Hilfe und der Entwicklungszusammenarbeit gewidmet.  

Doch dieser Reflex ist kurzsichtig: Der Wohlstand der historischen Industriestaaten basiert nach wie vor zu großen Teilen auf der Ausbeutung anderer Teile der Welt. Darunter vor allem diesen, in denen existenzielle Bedrohungen wie Klimawandel, Armut und Konflikte bereits jetzt für viele Menschen zu Hunger, Perspektivlosigkeit und politischer Instabilität führen. Ernährungssicherheit ist zudem weltweit die Grundlage für andere Entwicklungsziele, wie Bildung und ein gesundes Leben. Das Recht auf Nahrung für alle zu schützen und zu erfüllen, ist neben einer rechtlichen Verpflichtung auch ein moralisches Gebot für die Länder des Globalen Nordens. Zudem ist Frieden ein fragiles Gut, das von zunehmender weltpolitischer Destabilisierung auch hier in Gefahr gerät und unseren Lebensstandard bedroht.

Der Klimawandel macht vor keinem Land halt und wird zunehmend weltweit die Landwirtschaft und die Art, wie wir leben, beeinflussen. Unser Ernährungssystem jetzt gerecht und nachhaltig umzubauen, ist also eine Chance, die weltweit zu mehr politischer Stabilität und Gerechtigkeit führen kann. Und zur Umsetzung der Menschenrechte für alle beiträgt.  

Die Geschichte der Menschenrechte

Kriege, Ausbeutung, Sklaverei und (Neo-)Kolonialismus – durch die gesamte Geschichte der Menschheit zieht sich hindurch, dass Menschen in Machtpositionen andere Menschen ausbeuten und unterwerfen.  

Gesetzlich gesicherte Grundrechte sind der Versuch, diesem Bestreben nach Bereicherung Grenzen zu setzen – und verbindliche Regeln zu schaffen, die das menschliche Miteinander ordnen und vor Ausbeutung schützen. Die ersten Schutzrechte für Menschen gab es bereits im 13. Jahrhundert. Dennoch dauerte es noch 6 Jahrhunderte und zwei Weltkriege, bis sich die internationale Staatengemeinschaft 1948 auf einen weltweit gültigen Wertekatalog zum Schutz aller Menschen geeinigt hatte.

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte

In der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ legten die frisch entstandenen Vereinten Nationen in 30 Artikeln allgemein gültige und unveräußerliche Rechte für jeden Menschen dieser Welt, unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Religion, Einkommen oder Hautfarbe fest. Dazu gehören unter anderem:

  • das Recht auf Leben,  
  • das Recht auf Freiheit und Sicherheit,  
  • das Verbot von Sklaverei und Folter,  
  • Gedanken- und Glaubensfreiheit,  
  • das Recht auf Bildung, Arbeit und Gesundheit  
  • sowie das Recht, keinen Hunger leiden zu müssen. 

Das Recht auf Nahrung

Das Recht auf Nahrung ist der Grundpfeiler unserer Arbeit und ist eines der am häufigsten verletzten Menschenrechte. Fast jeder zehnte Mensch auf dieser Welt leidet aktuell Hunger – und wird so einem seiner grundlegendsten Rechte beraubt. Besonders tragisch ist, dass Hunger so gut wie immer durch menschliches Handeln verursacht wird. Doch genau in dieser Tatsache liegt auch Hoffnung: Wir haben die Möglichkeit, so zu handeln, dass Hunger und Mangelernährung bald Geschichte sind.  

Wegen der besonderen Bedeutung von Nahrung für den Menschen, gibt es neben der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte weitere Vereinbarungen der Vereinten Nationen, die sich mit diesem menschlichen Grundrecht befassen. Am Wichtigsten ist hier Artikel 11 des UN-Sozialpakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte aus dem Jahr 1966. Darin bekräftigen die Mitglieder der Vereinten Nationen unter anderem

 „das grundlegende Recht eines jeden, vor Hunger und Mangelernährung geschützt zu sein“.  

Um die Staaten bei der Realisierung des Rechts auf Nahrung zu unterstützen, wurden im November 2004 vom Welternährungsausschuss der Vereinten Nationen (Committee on World Food Security, CFS)) die „Freiwilligen Leitlinien zur Unterstützung der schrittweisen Verwirklichung des Rechtes auf angemessene Nahrung im Rahmen der nationalen Ernährungssicherheit“ verabschiedet.  

§

Die FAO-Leitlinien zur Umsetzung des Rechts auf Nahrung umfassen Empfehlungen zu 20 Einzelbereichen, unter anderem:

  • den Aufbau sozialer Sicherungssysteme  
  • Empfehlungen zur Implementierung menschenrechtlicher Instrumente und Institutionen
  • internationale Nahrungsmittelhilfe
  • den Aufbau einer nachhaltigen Landwirtschaft
  • den Zugang zu Wasser, Wald, Saatgut und Fischgründen für Nahrungsproduzent*innen
  • die Verbesserung der Geschlechtergerechtigkeit

2015 bekräftigte die internationale Staatengemeinschaft das Recht auf Nahrung zudem in der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung. Das zweite der insgesamt 17 formulierten Ziele schreibt die Beendigung des Hungers bis zum Jahr 2030 vor. Von diesem Ziel ist die Weltgemeinschaft aktuell jedoch weit entfernt.

Wer kümmert sich um die Umsetzung des Rechts auf Nahrung?

Alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen sind dazu verpflichtet, das Recht auf Nahrung in ihre eigenen nationalen Gesetze zu überführen und alles dafür zu tun, es zu achten, zu schützen und zu gewährleisten. Dieser Dreiklang bedeutet, dass Staaten den Zugang zu Nahrung nicht verhindern dürfen (Gewährleistungspflicht), ihn vor Eingriffen Dritter schützen müssen (Schutzpflicht) und die Versorgung mit Nahrung beispielsweise durch Nahrungsmittelhilfe sicherstellen müssen, wenn Menschen sich nicht selbst versorgen können (Gewährleistungspflicht). Zunächst ist jeder Staat für die eigene Bevölkerung verantwortlich, aber nach internationalem Recht sind Staaten und Privatunternehmen auch in ihren Interaktionen mit anderen Staaten an grundlegende Menschenrechtsstandards gebunden.  

Inwiefern Länder und Regierungen den Schutz von Menschenrechten am Ende tatsächlich priorisieren, unterliegt immer wieder Schwankungen – beispielsweise bei Regierungswechseln, wirtschaftlichen Krisen oder Kriegen und Konflikten. Es ist deswegen unerlässlich, dass Menschenrechte wie das Recht auf Nahrung tatsächlich innerhalb der Länder rechtlich verankert werden – und somit bei Verletzungen einklagbar sind.  

Die Rolle des Welternährungsausschusses  

Zudem sehen die FAO-Richtlinien zum Recht auf Nahrung vor, dass die UN-Mitgliedsstaaten an den Welternährungsausschuss (CFS) Bericht erstatten, wie ihnen die Umsetzung des Rechts auf Nahrung gelingt.  

Der CFS ist das einzige internationale Gremium, das gleichwertig aus Staaten, Vertreter*innen aus UN-Organisationen, Zivilgesellschaft, Forschung und Wissenschaft, Finanzinstitutionen und Privatwirtschaft zusammengesetzt ist und auch Betroffene von Armut und Hunger sowie Nahrungsproduzent*innen an den Verhandlungstisch bittet. Aktion gegen den Hunger fordert daher, dass der Welternährungsausschuss das zentrale Steuerungsgremium in allen Belangen rund um die Umsetzung des Rechts auf Nahrung sein muss.  

Zusätzlich ist es immens wichtig, dass auch die Zivilgesellschaft immer wieder deutlich macht, dass sie den Schutz von Menschenrechten von ihrer Regierung einfordert und Verstöße dagegen laut anprangert.  

So arbeitet Aktion gegen den Hunger an der Verwirklichung des Rechts auf Nahrung

Aktion gegen den Hunger ist in 55 Ländern und Regionen weltweit aktiv und setzt sich dort gegen die Ursachen von Hunger und Mangelernährung ein – unter anderem so:  

  • Wir verteilen Lebensmittel und versorgen mangelernährte Kinder mit Therapienahrung.  
  • Wir bauen zusammen mit Gemeinden Brunnen auf und stabilisieren die Versorgung mit Trinkwasser.  
  • Wir entwickeln zusammen mit den Menschen vor Ort Möglichkeiten, sich selbst besser zu versorgen und setzen uns insbesondere für mehr Geschlechtergerechtigkeit weltweit ein.  

Innerhalb unserer politischen Arbeit setzen wir uns zudem auf nationaler sowie internationaler Ebene dafür ein, die strukturellen Ursachen des Hungers zu bekämpfen. Diese Arbeit findet in vertraulichen Gesprächen mit der Politik, gemeinsamen Aktionen mit anderen NGOs, fachlichen Briefings oder Konferenzen oder unserer politischen Kampagnenarbeit statt.

3. JUNI 2024
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