Endlich: Nach Monaten des Ringens hat sich die Mehrheit der EU-Staaten am 15. März 2024 auf ein europäisches Lieferkettengesetz geeinigt! Jetzt ist der Weg frei, das Gesetz zu verabschieden und in nationales Recht der Mitgliedsstaaten umzusetzen.
Der Wermutstropfen: Das Gesetz wurde zuletzt stark abgeschwächt und umfasst nun deutlich weniger Unternehmen als zunächst geplant. Grund für die Verwässerung war nicht zuletzt die Blockade-Haltung der FDP in Deutschland, die dem Gesetz selbst in der aktuellen und abgeschwächten Form nicht zustimmen wollte. Dennoch ist das EU-Lieferkettengesetz ein wichtiger Schritt für Menschenrechte und Umweltschutz weltweit, denn es nimmt europäische Unternehmen (und solche, die in Europa hohe Absätze erzielen) in die Pflicht, Menschenrechte und Umwelt zu schützen. Zudem schafft es Klarheit und gleiche Wettbewerbsbedingungen für Unternehmen in ganz Europa – weshalb sich viele Unternehmen auch für ein EU-Lieferkettengesetz ausgesprochen hatten.
Gemeinsam mit 140 zivilgesellschaftlichen Organisationen haben wir uns bis zuletzt als „Initiative Lieferkette“ für das europäische Lieferkettengesetz eingesetzt. Vielen Dank an alle, die unsere Petition unterschrieben, Inhalte geteilt oder anderweitig mit uns laut waren für Menschenrechte und Umweltschutz weltweit!
Klare Botschaft auf dem Kanzleramt: Enthaltung ist keine Haltung! JA zum EU-Lieferkettengesetz!
FAQs rund um die Petition zum EU-Lieferkettengesetz
Ein Lieferkettengesetz bietet den rechtlichen Rahmen, um international agierende Unternehmen für ihre gesamten Produktions- und Lieferketten in die Verantwortung zu nehmen. Es besagt, dass Unternehmen in der EU dafür Sorge tragen müssen, dass entlang der gesamten Produktionskette menschen-, umwelt- und arbeitsrechtliche Standards eingehalten werden müssen – und die Unternehmen das auch überprüfen und sicherstellen müssen.
Konkret bedeutet das, dass beispielsweise ein deutscher Schokoladenhersteller sicherstellen muss, dass seine Produkte nicht auf Kinderarbeit und Hungerlöhnen für Arbeiter*innen basieren. So soll das Lieferkettengesetz zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen weltweit sowie zum Schutz von Umwelt und Kinderrechten beitragen.
Viele europäische Unternehmen profitieren davon, dass ihre Produkte unter Bedingungen hergestellt oder produziert werden, die unter europäischem Recht verboten wären. Dazu gehören Kinderarbeit, Zwangsarbeit und Löhne weit unter dem Existenzminimum genauso, wie das Arbeiten ohne Sicherheitsstandards unter lebensgefährlichen und umweltschädlichen Produktionsbedingungen.
Ein Beispiel ist die Produktion von Textilien zu Hungerlöhnen1 und in lebensgefährlich maroden Produktionsstätten, beispielsweise in Pakistan oder Bangladesch. Ein anderes der Abbau des Minerals Mica in Indien2, das für schimmernden Lidschatten, glänzende Autolacke oder als Leitermaterial in Elektronik benutzt wird und das allzu häufig in ungesicherten Minen von Kinderhänden geschürft wird.
Das EU-Lieferkettengesetz ist die Grundlage dafür, dass Verstöße gegen Arbeits- und Menschenrechte sowie Umweltstandards auch rechtlich durch Bußgelder oder Schadensersatz geahndet werden können. Im Mittelpunkt steht dabei auch der Schadensersatzanspruch von geschädigten Arbeitnehmer*innen entlang der Produktionsketten.
Die EU hat im Februar 2022 einen Entwurf für ein solches EU-Lieferkettengesetz vorgelegt.
1 Vgl. Bundeszentrale für politische Bildung
2 Vgl. Tagesschau
Die EU kann als drittgrößter Wirtschaftsraum der Welt mit einem starken Lieferkettengesetz einen entscheidenden Beitrag zu einer global gerechten Wirtschaft leisten. Dafür muss das EU-Lieferkettengesetz mindestens diese Anforderungen erfüllen:
- Es muss ausnahmslos die gesamte Liefer- und Wertschöpfungskette von Unternehmen erfassen, ohne Ausnahmen und Schlupflöcher.
- Es muss Unternehmen in Haftung nehmen und Geschädigten endlich die Möglichkeit bieten, erfolgreich vor Gerichten in Europa Schadensersatz gegenüber beteiligten Unternehmen einzuklagen.
- Es muss Unternehmen verpflichten, auch Umwelt und Klima zu schützen.
- Es muss eine umfassende Beteiligung der Betroffenen bei der Umsetzung des Gesetzes sicherstellen.
Das EU-Lieferkettengesetz soll für europäische Unternehmen sowie für in der EU tätige Firmen aus Drittstaaten ab 500 Mitarbeitenden und mehr als 150 Millionen Euro Umsatz weltweit gelten. Dies betrifft europaweit rund 17.000 Firmen.
Für Unternehmen aus Risikobranchen, in denen es besonders häufig zu Verstößen gegen Umwelt- und Menschenrechte kommt, gilt das Gesetz bereits für Unternehmen mit 250 Angestellten und 40 Millionen Euro Jahresumsatz. Zu den Risikobranchen gehören beispielsweise die Textilindustrie, Land- und Forstwirtschaft sowie Fischerei und Bergbau.
Kleine und mittelgroße Unternehmen (KMU) sind nicht direkt von dem Gesetz betroffen, gegebenenfalls aber indirekt, beispielsweise als Zulieferer großer Unternehmen.
Die Unternehmen, die unter das EU-Lieferkettengesetz fallen, müssen die vorgeschriebenen Sorgfaltspflichten in Bezug auf Menschenrechte und Umwelt mindestens so umsetzen:
- Sie müssen ermitteln, ob es entlang ihrer Lieferketten zu Verstößen gegen Menschenrechte oder negativen Auswirkungen auf die Umwelt kommt.
- Sie müssen Maßnahmen ergreifen, um Verstöße zu verhindern oder zu beheben und die Wirksamkeit dieser Maßnahmen kontrollieren.
- Sie müssen transparent und öffentlich, unter anderem in einem Jahresbericht, darüber berichten, wie genau sie ihre Sorgfaltspflichten umsetzen.
- Die Sorgfaltspflichten des Lieferkettengesetzes müssen in die Unternehmenspolitik und das Management der Unternehmen übernommen werden.
- Die Firmen müssen Beschwerdeverfahren einrichten und allen Personen entlang der Lieferkette einen Zugang dazu ermöglichen.
- Bei einem Jahresumsatz von über 150 Millionen Euro müssen Unternehmen ihre interne Politik mit dem 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens vereinbaren.
Die deutsche Bundesregierung hat am Juli 2021 bereits ein „Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz“3 (kurz Lieferkettengesetz) erlassen. An entscheidenden Stellen wurde jedoch dem Druck der Wirtschaftslobby nachgegeben, weshalb das deutsche Lieferkettengesetz massive Lücken aufweist:
- Das Gesetz nimmt Unternehmen nur bei Arbeits- und Produktionsbedingungen direkter Zulieferer in die Sorgfaltspflicht. Bei indirekten Zulieferern (ganz am Anfang der Lieferketten) gilt die Pflicht nur bei begründetem Verdacht auf Menschenrechts- und Umweltverstößen.
- Das Gesetz gilt ab Januar 2023 für Unternehmen mit über 3.000 Mitarbeitenden, ab 2024 für Unternehmen mit mindestens 1.000 Mitarbeitenden. Insgesamt fallen so nur knapp 5.000 deutsche Unternehmen unter die Sorgfaltspflicht.
- Der Umweltschutz ist im deutschen Lieferkettengesetz bisher massiv unterrepräsentiert.
- Das Gesetz hat keine zivilrechtliche Haftungsregel beim Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht. Geschädigte können vor deutschen Gerichten so nicht gegen Menschenrechtsverstöße klagen.
Das deutsche Lieferkettengesetz bleibt in seiner nur bedingt wirksamen Form deutlich hinter den von der EU-Kommission formulierten Ansprüchen an ein europaweites Lieferkettengesetz zurück. Das EU-Lieferkettengesetz birgt die Chance, die Lücken im deutschen Gesetz nachzubessern.
3 das Lieferkettengesetz auf der Seite des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Der Entwurf für das Lieferkettengesetz von der Europäischen Kommission geht in seinen Sorgfaltspflichten weit über das deutsche Gesetz hinaus.
- Mit 500 bzw. 250 Mitarbeitenden würde das europäische Gesetz für deutlich mehr Unternehmen gelten als das deutsche Gesetz (ab 3.000 ab 2023 bzw. 1.000 Mitarbeitenden ab 2024)
- Die EU-Richtlinie verlangt von den Firmen, die gesamte Lieferkette zu prüfen und nicht nur die direkten Zulieferer wie im deutschen Lieferkettengesetz.
- Die EU-Regelung enthält eine zivilrechtliche Haftung für Firmen; Betroffene können somit Schadensersatz vor europäischen Gerichten einklagen.
Die Initiative Lieferkettengesetz hat den EU-Gesetzesentwurfs eingehend analysiert4 und kritisiert, dass der Vorschlag hinter den Anforderungen der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (UNLP) und der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen (OECDLS) zurückbleibt. So werden beispielsweise sind klimabezogene Sorgfaltspflichten kaum Teil des Gesetzes. Die Sorgfaltspflichten aus dem Lieferkettengesetz gelten zudem nur für „etablierte“, das heißt dauerhafte Geschäftsbeziehungen und wirken so nicht umfassend genug. Es fehlen außerdem explizite Vorgaben zur Änderung der Preis- und Einkaufspolitik gegenüber Geschäftspartner*innen. Die gesamte Analyse kann hier nachgelesen werden.
Auf Unternehmensseite werden durch das Gesetz Wettbewerbsnachteile im Vergleich zu außereuropäischen Unternehmen gefürchtet. Viele Unternehmen sprechen sich hingegen auch für ein EU-weites Sorgfaltspflichtgebot aus, um Standards innerhalb der EU zu vereinheitlichen5.
4 Analyse des Entwurfs für das EU-Lieferkettengesetz
5 Unternehmensstatement auf der Seite des Business and Human Rights Resource Centres
Die Initiative Lieferkettengesetz ist ein Zusammenschluss von über 130 Organisationen und Verbänden mit dem Ziel, mithilfe der Zivilgesellschaft ein wirkungsvolles und verantwortungsvolles EU-Lieferkettengesetz durchzusetzen. Eine von über 220.000 Menschen unterzeichnete Petition der Initiative Lieferkette für ein deutsches Lieferkettengesetz war maßgeblich daran beteiligt, dass das Gesetz im Jahr 2021 erlassen wurde. Aktion gegen den Hunger ist seit April 2022 Mitglied der Initiative.
Zusammen fordern wir von Bundeskanzler Olaf Scholz, ein wirksames EU-Lieferkettengesetz – wie im Koalitionsvertrag vereinbart – zu unterstützen. Dafür muss er sich, auch gegen Widerstand vonseiten der Unternehmensverbände, im Rat der EU für ein wirksames Lieferkettengesetz einsetzen.
Der Entwurf für das EU-Lieferkettengesetz („Directive of the European Parliament and of the Council on Corporate Sustainability Due Diligence and amending Directive“) kann auf der Seite der Europäischen Kommission eingesehen werden.