Mehr als 5 Millionen Menschen in Haiti sind von kritischer Ernährungsunsicherheit oder schlimmerer Situation betroffen
Chronische Armut und Bandengewalt verschärfen die Ernährungsunsicherheit und Vertreibungskrise in Haiti. Die seit Monaten grassierende Gewalt hat zu einer der schlimmsten Hungerkrisen der Welt geführt, wie ein neuer Bericht des IPC-Ausschusses (Integrated Food Security Phase Classification) zeigt. Dieses unabhängige Gremium von Expert*innen für Ernährungssicherheit und Ernährung der Vereinten Nationen, von Regierungen und Nichtregierungsorganisationen, darunter Aktion gegen den Hunger, hat die Lage analysiert.
Haiti: Millionen Menschen in Hungerkrise
Im ganzen Land hat sich die Hungersituation verschärft, vor allem aufgrund der Instabilität sowie bewaffneter Banden. Fast 6.000 Haitianer*innen leiden an einer Hungerkatastrophe bis hin zur Hungersnot (IPC-Phase 5) – diesen Menschen fehlt es an allem: Nahrungsmitteln, Wasser, grundlegender Hygiene. Etwa zwei Millionen Menschen befinden sich in einer Notsituation (IPC-Phase 4) und 30 Prozent der Bevölkerung – etwa 3,4 Millionen Menschen – sind in einer Hungerkrise (IPC-Phase 3).
„Bereits seit dem letzten Jahrwusste die Weltgemeinschaft, dass fast die Hälfte der haitianischen Bevölkerung von einer Hungerkrise betroffen ist. Dennoch erhielten nur 23 Prozent der Ernährungssicherungsprogramme und 13 Prozent der Ernährungsprogramme die benötigte Unterstützung, so dass eine Finanzierungslücke von 66 Prozent bleibt“, sagt Martine Villeneuve, Landesdirektorin von Aktion gegen den Hunger in Haiti. Sie ergänzt: „Die Menschen in Haiti brauchen viel mehr Unterstützung als sie erhalten. Chronisch unzureichende Investitionen in Verbindung mit Konflikten und Klimaschocks haben zu der schlimmsten Hungerkrise geführt, die wir in Haiti erlebt haben, seit wir 1985 mit unserer Arbeit begonnen haben. Wir lassen dieses Land im Moment ertrinken. Wir müssen etwas tun.“
Haiti importiert zwischen 50 und 85 Prozent seiner Lebensmittel – abhängig je nach Ernte, Jahreszeit und Lage vor Ort. Die hohe Importzahl macht Millionen von Menschen anfällig für Inflation und Preisschwankungen auf den internationalen Märkten. Seit Januar 2024 ist der Preis für einen Lebensmittelkorb in der Hauptstadt Port-au-Prince um 21 Prozent gestiegen.
Gewalt und Extremwetter erschweren humanitäre Hilfe
Erschwerend hinzu kommt, dass bewaffnete Banden bis zu 90 Prozent der Hauptstadt Port-au-Prince kontrollieren und dadurch verhindern, dass Lebensmittel, Treibstoff und andere lebenswichtige Güter die Märkte erreichen oder in Gebiete außerhalb der Hauptstadt, einschließlich des Nordwestens, gelangen.
Seit der Eskalation der Bandengewalt im März 2024 wurden fast 580.000 Menschen vertrieben, die meisten aufgrund von Hunger und den anhaltenden Unruhen. Das sind mehr als doppelt so viele wie im Jahr 2022. Viele Familien sind gezwungen, in Notunterkünften unter gefährlichen Bedingungen zu leben. Frauen und Kinder sind besonders gefährdet. Mädchen im Alter von 15 Jahren werden gezwungen, Sex gegen Lebensmittel zu tauschen, und in mehreren Vierteln sind die Schulen aufgrund von Sicherheitsrisiken geschlossen.
Extreme Wetterbedingungen sind ebenfalls ein wichtiger Faktor für die Hungerkrise in Haiti: Der schwerste Wirbelsturm seit langem ereignete sich am 2. Juli dieses Jahres und erreichte Windgeschwindigkeiten von bis zu 153 Meilen pro Stunde – nur einen Monat nach Beginn der sechsmonatigen Wirbelsturmsaison. Wir gehen davon aus, dass die ohnehin schon gefährlichen, von Banden kontrollierten Versorgungsrouten noch schlechter passierbar werden, denn es wird in den kommenden Monaten mit weiteren schweren Wirbelstürmen gerechnet.
Der IPC-Bericht empfiehlt Nothilfemaßnahmen zur Unterstützung der ärmsten Haushalte, die Ausweitung des sozialen Schutzes und Programme, die es den Menschen ermöglichen, ihre Existenzgrundlage wieder aufzubauen, sowie eine bessere Koordinierung zwischen Nothilfe- und Entwicklungsmaßnahmen.
Aktion gegen den Hunger ist seit 1985 in Haiti tätig und setzt sich für eine Verringerung des Hungers und eine Verbesserung der Gesundheit ein. Unsere Programme reichen von Ernährung über Wasser, sanitäre Einrichtungen und Hygiene (WASH) bis hin zu Geschlechtergerechtigkeit und Schutz von Frauen und Mädchen sowie zur Schaffung nachhaltigerer Lebensgrundlagen reichen, die den Hunger verhindern und das Wohlbefinden fördern können. Die Unterfinanzierung von Hilfsprojekten in Haiti hat jedoch zu einem erheblichen Mangel an Behandlungskapazitäten geführt.
Der Zugang zu den Straßen wurde von Banden abgeschnitten, wodurch humanitäre Organisationen daran gehindert werden, potenziell lebensrettende Hilfsgüter zu liefern. Aktion gegen den Hunger ist es gelungen, einige Gemeinden zu erreichen, aber der Bedarf steigt rapide an und die humanitären Ressourcen sind äußerst knapp bemessen. Aktion gegen den Hunger und andere Hilfsorganisationen appellieren an die internationale Gemeinschaft, zu reagieren und die Menschen in Haiti mit Hilfe zu unterstützen.