In Nord-Kivu, im Osten der Demokratischen Republik Kongo, haben Kämpfe zwischen bewaffneten Gruppen und der kongolesischen Armee bereits 2,7 Millionen Menschen vertrieben, von denen mehr als 630.000 in Lagern in der Umgebung von Goma leben. Kinder und Jugendliche sind dort besonders gefährdet.
Zwischen schwarzem Vulkanboden und tiefhängenden Wolken drängen sich die Unterkünfte entlang der Gassen des Camps in der Nähe von Goma. Auf engstem Raum versuchen vertriebene Familien hier zu überleben, obwohl es an Nahrung, Wasser und Hygiene mangelt. Jede*r hier hat Flucht, Krieg und Gewalt erlebt.
Esther* war erst 16, als sie wegen Bombenangriffen die Stadt Saké verlassen musste – da war sie bereits in Folge einer Vergewaltigung schwanger. Wie viele andere junge Mädchen ist auch sie oft in den Wald gegangen, um Feuerholz zu sammeln. An einem Tag kreuzten sechs Männer Esthers Weg: „Ich war mit zwei Freundinnen unterwegs. Die Männer begannen, uns zu belästigen. Meine Freundinnen konnten fliehen – ich nicht. Zwei Männer haben mich mit Gewalt mitgenommen“, erzählt sie.
Alphonsine hält zu ihrer Tochter
Als sie wieder zu Hause war, traute sich Esther nicht, ihrer Familie davon zu erzählen. Denn Opfer sexualisierter Gewalt werden manchmal von ihren Familien verstoßen. Monate später bemerkte ihre Mutter Alphonsine*, dass sich Esthers Körper veränderte. In einem Gespräch vertraute sich die damals 16-Jährige ihr schließlich an. Trotz der Angst vor den Blicken der Gemeinschaft hat Alphonsine nie aufgehört, ihre Tochter zu unterstützen.
„Als ich sah, dass ihr Bauch anfing, sich zu wölben, sagte ich: Herr, hilf mir durch diese Prüfung. Wenn die Leute im Dorf erfahren, dass sie in Schwierigkeiten steckt, werden sie mich nicht mehr als Mutter anerkennen, weil ich sie nicht beschützt habe. Sie wollte sich umbringen, sie war in Panik. Ich helfe ihr, indem ich ihr sage, sie soll sich weiter beraten lassen”, sagt Alphonsine.
Als Mutter und Tochter im Februar in Goma ankamen, waren sie mittellos. Also fing Esther widerwillig an, wieder Feuerholz im Wald zu sammeln, das sie auf dem Markt verkaufen kann. Dabei kommt es zu einer zweiten Vergewaltigung. Seitdem ist Esther nie wieder in den Wald gegangen, doch sie erlebt immer wieder Flashbacks. Nachts träumt sie, dass die Täter zurückkommen, um sie erneut anzugreifen.
Übungen gegen das Trauma
Auf Anraten ihrer Mutter beschließt sie, an den Workshops zur emotionalen Stabilisierung von Aktion gegen den Hunger (ACF) teilzunehmen. „Ich habe gelernt, über meine Geschichte zu sprechen. Ich kämpfe darum, Flashbacks mit den Übungen, die ich bei ACF gelernt habe, zu reduzieren. Ich fühle mich dadurch ruhiger. Aber jedes Mal, wenn meine Mutter auf Arbeitssuche ist und mit leeren Händen zurückkommt, oder wenn ich mein Baby anschaue und an die Zukunft denke, kommen die Gedanken zurück.“
Esther hält ihre vor einer Woche geborene Tochter im Arm. Das Baby schläft friedlich, eingewickelt in einen großen orangefarbenen Pullover. „Bei der Geburt habe ich mich gefreut, aber jetzt mache ich mir Sorgen um ihre Zukunft. Wie wird mein Kind aufwachsen? Sie hat nur Kleidung, weil Menschen guten Willens sie ihr geben. Wie wird sie überleben?“ Mit gerade einmal 17 Jahren hat Esther nicht mehr die Sorgen von Teenagern in ihrem Alter. Einige ihrer Freund*innen haben sie im Stich gelassen, weil sie sagen, Esther sei kein junges Mädchen mehr.
Zehntausende Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt
Wie Esther sind Zehntausende von Frauen und Mädchen in den Lagern für Binnenvertriebene im Osten der Demokratischen Republik Kongo Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt geworden: psychisch, körperlich und sexualisiert. „Wir haben eine sehr große Anzahl an Überlebenden. Von Januar bis März 2024 waren schätzungsweise 70.000 Menschen Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt, was das Ausmaß der Situation und die Notwendigkeit eines Präventions- und Unterstützungsplans für die Opfer verdeutlicht“, erklärt Valdes Wamba Nguimabou, Leiter der Abteilung für psychische Gesundheit und psychosoziale Unterstützung von ACF in der Demokratischen Republik Kongo.
„Diese Menschen zeigen Anzeichen großer Verzweiflung. Sie haben Schlafstörungen, Suizidgedanken und können nicht mehr so essen wie früher. Bei unseren Aktivitäten fühlen sich diese Menschen gehört und können ihrem Leid Worte verleihen.“ Seit März haben mehr als 20.000 Vertriebene in den Lagern um Goma von den psychosozialen Unterstützungsmaßnahmen von ACF profitiert.
Trotz des Traumas küsst und wiegt Esther ihr Kind zärtlich, während ihre Mutter zuschaut. „Ich bin glücklich, denn es gibt viele Menschen in meinem Alter, die keine Enkelkinder haben. Aber ich habe eine Enkelin. Was auch immer Gott mir gibt, ich werde es nutzen, um für meine Kinder zu sorgen. Ich werde dorthin gehen, wo man mir Arbeit gibt. Wenn ich in Goma Arbeit finde, werde ich in Goma leben, wenn es in Saké ist, werde ich in Saké leben“, sagt Alphonsine.
Eine von Unterernährung geprägte Kindheit
André schläft erschöpft auf dem Schoß seiner Mutter Diane ein. Die beiden sind aus dem nahe gelegenen Lager Rusayo gekommen, um sich in der mobilen Klinik von ACF im Camp Lushagala 1 beraten zu lassen. Während die anthropometrischen Tests durchgeführt wurden, beginnt der kleine Junge zu schreien und Diane laufen die Tränen. Wie sein älterer Bruder hat André einen Rückfall einer schweren akuten Unterernährung erlitten. „Als ich in Rutshuru war, ging es meinen Kindern gut. Ich habe ihnen gutes Essen gegeben. Sie haben normal gegessen und waren nicht in diesem Zustand“, sagt Diane. Die junge Frau beschloss, Rutshuru mit ihren Kindern zu verlassen, als ihr Mann, ein Lehrer, auf dem Weg von der Schule von einer verirrten Kugel getötet wurde.
Sie ging zunächst nach Masisi, um sich ihrem Onkel anzuschließen, aber auch dort wurden sie von den Kämpfen eingeholt. Die Familie floh erneut und machte sich auf den Weg nach Goma. „Wir sind jetzt seit fast zweieinhalb Jahren auf der Flucht. Ich bin mit meinen Kindern mit nichts geflohen und hier bekomme ich nichts. Wenn ich ein wenig Geld verdiene, indem ich Geschirr spüle oder Holz sammle, kaufe ich Reis, getrockneten Fisch und Ugali.“
Die fünfköpfige Familie lebt in einem engen Zelt aus Planen und Stöcken. Diane hat ein paar große schwarze Felsbrocken am Fuß der Unterkunft platziert, um sie vor Wind und Regen zu schützen. Der Nebel lichtet sich und der Vulkan Nyiragongo, der die Vertriebenenlager überblickt, kommt allmählich zum Vorschein. Diane fegt gewissenhaft vor ihrem Zelt, während der kleine André in ihrem Rücken döst.
„Als ich sah, dass seine Beine anschwollen, ging ich zu einem Nachbarn, der mir sagte, dass ACF Kinder behandle. Ich brachte ihn dorthin, sie behandelten ihn und er erholte sich. Als er geheilt war, verließ er das Programm und ich sah, dass er sich wieder veränderte. Ich brachte ihn zum zweiten Mal hin. Ich bin sehr traurig, meine Kinder so zu sehen. Es ist schwer für mich, allein zu sein und auf sie aufzupassen.“
Dr. Aimé Mukunzi ist für das Ernährungs- und Gesundheitsprogramm in Goma zuständig. Er sieht regelmäßig Fälle wie den von André in den ACF-Kliniken. „Unter den Kindern unter fünf Jahren nehmen die Fälle von Mangelernährung angesichts der Lebensbedingungen in den Lagern zu. Die Menschen haben nicht genug zu essen und die Lebensmittel werden nicht regelmäßig verteilt. Einige Haushalte sind mehrmals umgezogen und sind nicht mehr in der Lage, die Ernährung ihrer Kinder zu stabilisieren. Die Hygienebedingungen sind unzureichend, was zu Krankheiten führt, die die Ernährungssituation der Kinder verschlechtern.“
Behandlung von Kindern unter fünf Jahren
Jeden Monat verzeichnet ACF durchschnittlich 400 neue Einweisungen von Kindern unter fünf Jahren, die an schwerer akuter Unterernährung leiden. Die meisten Fälle werden ambulant behandelt. Kinder, die Anzeichen von Komplikationen aufweisen, werden an die Partner-Gesundheitszentren von ACF überwiesen, wie zum Bespiel die von Nonnen geführte Mungano-Klinik. „ACF unterstützt Einrichtungen wie die Mungano-Klinik, die über qualifiziertes Personal verfügt, um Kindern mit Komplikationen zu helfen. Wir versorgen sie mit Hilfsmitteln, Medikamenten und medizinischer Ausrüstung und bieten den Begleitpersonen der Kinder Ernährungsberatung an“, sagt Dr. Aimé Mukunzi.
Hinter roten Backsteinmauern verfügt die Intensivstation für therapeutische Ernährung über neun Betten. Die Kinder erhalten genau alle drei Stunden eine Tasse therapeutische Milch. „In der akuten Phase geben wir achtmal täglich Milch“, erklärt Ney Bahati Bujirir, Ernährungsberaterin in der Mungano-Klinik. „Jeden Morgen wiegen wir die Kinder, um zu sehen, ob sie an Gewicht zugenommen oder abgenommen haben. Nach vier oder fünf Tagen machen wir einen Appetit-Test, und wenn er positiv ausfällt, bereiten wir für die Kinder angereicherten Brei aus lokalen Lebensmitteln zu.“ Die Mütter nehmen ihre Mahlzeiten im Speisesaal im Innenhof ein, um zu vermeiden, dass sie Lebensmittel teilen, die für die Behandlung ihres Kindes ungeeignet sind.
Noëlla ist mit ihrer zweijährigen Tochter Amida hier. Auch sie hat mehrere Vertreibungen erlebt. Sie stammt ursprünglich aus Ngungu und floh zunächst nach Saké, dann nach Goma. „Als wir zwei Monate in Lushagala waren, wurde meine Tochter krank. Ich kam hierher, sie wurde behandelt und erholte sich. Aber vier Monate später hatte sie einen Rückfall und mir wurde gesagt, ich solle sie zurückbringen, um die Behandlung fortzusetzen. In der ersten Woche begann sie, die Milch zu trinken, dann stieß sie sie wieder weg. Wir sind jetzt seit zweieinhalb Wochen hier.“
Man kann die Erschöpfung in Noëllas Gesicht und dem der anderen Mütter sehen. Es gibt Sorgen um das kranke Kind, aber auch um diejenigen, die im Lager oder im Dorf zurückgelassen wurden. „Ich habe sechs Kinder, aber nur vier von ihnen sind bei uns in Lushagala‘, sagt Noëlla. „Ich weiß nicht, wo die anderen sind oder wie es ihnen geht.“
„Es ist schwer, uns zu ernähren“
Clarisse, gerade einmal 19 Jahre alt, ist gekommen, um ihre zweijährige Tochter Espérance behandeln zu lassen. „Wir lebten in Beni und mein Vater wurde zum Kämpfen nach Saké geschickt. Eine Bombe fiel auf den Ort, an dem er lebte, und er starb. Wir gingen nach Saké, um ihn zu beerdigen, und flohen dann nach Mugunga. Wir blieben eine Weile in einer Kirche und dann wurde uns gesagt, wir sollten ins Lager gehen. Es war schwer, an Essen zu kommen. Nach einer Weile hatte ich ein krankes Kind und ACF brachte uns hierher nach Mungano.“
Als ihr zweites Baby geboren wurde, bemerkte Clarisse, dass Espérance erneut an Ödemen in den Beinen litt, und kehrte in die ACF-Klinik zurück. „Das Leben im Lager passt nicht zu uns. Ich habe keinen Ehemann, ich lebe nur mit meiner Mutter zusammen. Wir haben keine Arbeit, wir sitzen nur herum und tun nichts. Es ist schwer, uns zu ernähren. Die Rückkehr hierher mit meinen Kindern bereitet mir nur Sorgen.“
Allein in einem Monat gingen in der Mungano-Klinik 40 Anfragen für Krankenhausaufenthalte ein. Ney Bahati Bujirir würde die Abteilung gerne erweitern, damit die Klinik keine Patient*innen mehr abweisen muss. Wie alle hier wünscht er sich vor allem ein Ende des Krieges. „All dies ist eine Folge des Krieges. All diese Mütter lebten friedlich im Dorf, sie betrieben Landwirtschaft, sie gingen ihren Geschäften nach. Die ersten Opfer des Krieges sind die Kinder. Es zerfrisst einem das Herz. Wir wünschen uns Frieden, damit alle Mütter nach Hause zurückkehren können. Wir werden unsere Arbeit so lange machen, bis wir Frieden haben.“
Die Konflikte im Osten der Demokratischen Republik Kongo haben sich seit Jahresbeginn verschärft, ohne dass eine humanitäre Reaktion erfolgt wäre, die den ermittelten Bedürfnissen angemessen wäre. In den Vertriebenenlagern nehmen Unterernährung und psychische Probleme zu, mit dem damit verbundenen Risiko eines langfristigen Traumas für die dort aufwachsenden Kinder und Jugendlichen.
*Name geändert