Unsere Forderungen an die internationale Gemeinschaft und die deutsche Bundesregierung
Am 7. und 8. Dezember 2021 findet in Tokyo der dritte internationale „Nutrition for Growth-Gipfel“ (kurz: N4G, zu Deutsch: Ernährung für Wachstum) statt. Das Ziel der
Teilnehmenden – darunter Politik, Wirtschaftsvertretende, Geberorganisationen und Nichtregierungsorganisationen – ist es, gemäß den Zielen für Nachhaltige Entwicklung (SDGs) Hunger in allen Formen bis zum Jahr 2030 zu beenden. Eine Herausforderung, die entschieden mehr multisektorales Engagement, finanzielle Zusagen und Verbindlichkeit von allen Akteuren verlangt: Im Jahr 2020 waren weltweit zwischen 720 und 811 Millionen Menschen von Hunger betroffen – 161 Millionen mehr als noch im Jahr 2019. Ursachen für die Zunahme des Hungers auf der Welt sind vor allem die Folgen des Klimawandels, andauernde und neue Konflikte sowie die Folgen der COVID-19-Pandemie. Am stärksten gefährdet sind Frauen und Kinder, die aktuellen Schätzungen zufolge über siebzig Prozent der weltweit von Unterernährung Betroffenen ausmachen.
Aktion gegen den Hunger nimmt am Gipfel teil und setzt sich mit eigenen Veranstaltungen rund um den Gipfel für den besseren Austausch von relevanten Akteuren ein.
Zudem haben wir einen Forderungskatalog formuliert, mit welchen Maßnahmen die internationale Gemeinschaft und nationale Regierungen Hunger und Armut reduzieren und mehr soziale Gerechtigkeit herstellen können. Im Fokus stehen dabei die Bereiche Gesundheit, Nahrung, Resilienz in fragilen Kontexten und Konflikten, Datenintegrität und Finanzierung:
Gesundheitssysteme stärken, um Gesundheit und Ernährung von Müttern, Kindern und Jugendlichen zu verbessern
Unter- und Mangelernährung ist weltweit für 45 Prozent der Todesfälle bei Kindern unter fünf Jahren verantwortlich. Bereits in der pränatalen Entwicklung erhöht Mangelernährung bei Schwangeren das Risiko eines niedrigen Geburtsgewichts, chronischer Mangelernährung und sogar des Todes des Neugeborenen. Gleichzeitig hemmt Mangelernährung die kognitive Entwicklung und beeinträchtigt den Gesundheitszustand im Laufe des gesamten weiteren Lebens. Auf diese Weise trägt Ernährungsunsicherheit zu einer Manifestierung von generationenübergreifender Armut und Ungleichheit bei.
Die große Mehrheit der Kinder mit schwerer akuter Unterernährung (SAM) hat weltweit keinen Zugang zu einer Behandlung oder erhält keine präventiven Maßnahmen, einschließlich Mikronährstoffergänzung oder Stillen. Der unzureichende Zugang zu diesen Leistungen wird durch Konflikte, Unsicherheit, fehlende Finanzierung und verschiedene Formen der Geschlechterungerechtigkeit noch verschlimmert.
Wir fordern daher:
- Gut geschulte, bezahlte und von der Gemeinde unterstützte lokale Gesundheitshelfer*innen, um die medizinische Versorgung zu auszubauen. Die Gesundheitshelfer*innen müssen bei politischen und regulatorischen Fragen im Zusammenhang mit der Gesundheitsversorgung Mitspracherecht haben.
- Eine höhere und langfristige Finanzierung für die Behandlung von Mangelernährung und anderen Ernährungsdienstleistungen. Regierungen sollten 0,1 Prozent ihres Bruttonationaleinkommens (BNE) für Ernährungssicherung ausgeben.
- Die Geberländer müssen wie vereinbart 0,7 Prozent ihres BNE für die Entwicklungszusammenarbeit bereitstellen (ODA-Quote), davon 0,1 Prozent für Gesundheit
- Die Behandlung akuter Mangelernährung muss gestärkt und zu einer Priorität werden. Gesundheitssysteme müssen so ausgelegt sein, dass sie marginalisierte Bevölkerungsgruppen wie Kinder und Frauen erreichen und ebenso kurative wie präventive Ansätze erhalten.
- Die Versorgung mit gebrauchsfertigen therapeutischen Nahrungsmitteln, wie Plumpy Nut oder therapeutische Milch, muss durch kürzere und diversifizierte Lieferketten verbessert werden.
- Der Zugang zu Gesundheitssystemen und Ernährungsdienstleistungen für marginalisierte Gruppen wie beispielsweise Frauen und Kinder muss erheblich verbessert werden, um einen gerechten Zugang für alle Menschen zu gewährleisten.
- Ein stärkeres Monitoring, ob ergriffene Maßnahmen in Gesundheits- und Ernährungsprogrammen die Zielgruppen erreichen, muss Bestandteil von Programmen sein.
Gesundheitshelfer*innen spielen eine Schlüsselrolle in der medizinischen Versorgung von abgelegenen Gemeinden und Dörfern.
Aufbau gerechter und nachhaltiger Ernährungssysteme, um die Ernährungssituation weltweit zu verbessern und die Existenzgrundlage von Kleinbäuer*innen zu sichern
Wir fordern daher:
- Eine agrarökologische Transformation der Ernährungssysteme.
- Die Stärkung der Rolle von Jugendlichen und Frauen in den Ernährungssystemen.
Fast 2,4 Milliarden Menschen hatten im Jahr 2020 keinen Zugang zu angemessener Nahrung – ein Anstieg um 320 Millionen im Vergleich zu 2019. Neben den Folgen von Klimawandel, Konflikten und COVID-19 spielt auch die Art und Weise, wie Lebensmittel produziert werden, eine entscheidende Rolle. Um alle Menschen auf der Welt auch zukünftig mit ausreichend bezahlbaren und nahrhaften Lebensmitteln zu versorgen, müssen unsere Ernährungssysteme transformiert werden.
Agrarökologische Ansätze als Gegenentwurf zur industriellen Landwirtschaft stärken nicht nur die lokale Wirtschaft und Nahrungsmittelsicherheit, sondern vermindern zudem Treibhausgase und sind durch flexible Saaten und Anbauweisen widerstandsfähiger gegen den Klimawandel. Im Zentrum der Transformation der Ernährungssysteme muss zudem die wichtige Rolle von Frauen und Mädchen in der Nahrungsmittelproduktion stehen: Sie produzieren regional bis zu 80 Prozent der Lebensmittel – verfügen häufig jedoch weder über Land, Geräte, die Kontrolle des Familieneinkommens und die die produzierten Lebensmittel, noch über den Zugang zu Bildung.
Die Frauen sind Teil einer Bäuer*innenkooperative. Gemeinsam können sie größere Flächen pachten, mehr Erträge erzielen und bessere Preise am Markt verhandeln.
Die wirksame Bekämpfung von Mangelernährung in fragilen und von Konflikten betroffenen Kontexten
Wir fordern daher:
- Die bessere Koordinierung zwischen allen Sektoren im Rahmen eines dreifachen Nexus-Ansatzes für humanitäre Hilfe, Entwicklung und Friedenskonsolidierung.
- Stärkere Investitionen in datengestützte, vorausschauende humanitäre Hilfsmaßnahmen zur Vermeidung von Hungersnöten in fragilen Kontexten.
- Mehr Flexibilität mit gleichzeitiger Stabilität in der humanitären Finanzierung.
- Höhere Investitionen in Frühwarnsysteme als Teil der globalen und nationalen Reaktion auf den Klimawandel.
- Verstärkte diplomatische Bemühungen zur Umsetzung der Resolution 2417 des VN-Sicherheitsrats, um menschliches Leid in Konfliktsituationen zu beenden.
Konflikte sind eine der Hauptursachen für Hungerkrisen, die zusätzlich durch die Auswirkungen des Klimawandels sowie wirtschaftliche Krisen verschärft werden. Über 142 Millionen Menschen in 40 der 55 Länder, die am stärksten von Nahrungsmittelunsicherheit betroffen sind, werden Prognosen zufolge 2021 in Krisen- oder Konfliktregionen leben. Diese Menschen sind bereits heute mit einer akuten Nahrungsmittelunsicherheit konfrontiert.
Um wirksam Hunger zu bekämpfen, ist eine koordinierte Hilfe und Unterstützung notwendig: Durch die Trennung zwischen humanitären Akteuren und Entwicklungsakteuren, die sich auch in den Strategien der Geber - einschließlich der Finanzierungsmechanismen – widerspiegelt, entsteht vor Ort oft eine Kluft zwischen den jeweiligen Maßnahmen, die kontraproduktiv ist.
Eine besondere Herausforderung liegt dabei in der Erweiterung der humanitären und entwicklungspolitischen Maßnahmen um den Bereich der Friedensförderung: Hier könnten die Zielsetzungen im Bereich Sicherheits- und Migrationspolitik zu einer Politisierung der Entwicklungszusammenarbeit und der humanitären Hilfe führen und so die humanitären Prinzipien (Unparteilichkeit, Unabhängigkeit, Neutralität) gefährden.
Kriege und gewaltsame Konflikte sind eine der Hauptursachen von Hunger.
Förderung der datengestützten Rechenschaftspflicht
Um Hungersnöte vorausschauend und wirksam zu bekämpfen, sind verlässliche Daten zum Stand der Nahrungsmittel- und Ernährungssicherheit der Menschen weltweit unerlässlich. Um Entwicklungen antizipieren zu können, bedarf es zudem Informationen und Daten zu Faktoren, die einen Einfluss auf die Nahrungsmittelsituationen haben können, wie die Verfügbarkeit von Lebensmitteln, Migrationsströmen, Klimadaten etc...
Da diese Daten bisher nur lückenhaft zur Verfügung stehen, muss auf dem N4G ein Ausbau der Datenquellen vorangetrieben sowie eine Integration bestehender Datenquellen unterstützt werden. Die Staaten und Geberorganisationen müssen sich zudem auf Schwellenwerte festlegen, die bestimmte Maßnahmen zur Bekämpfung von Hunger nach sich ziehen und rechtzeitige Finanzierungsmechanismen festlegen.
Wir fordern daher:
- Einen deutlichen Ausbau evidenzbasierter und lokal geführter Frühwarnsysteme, die Risikoanalysen mit vorab vereinbarten Plänen für vorausschauende Maßnahmen verknüpfen und durch eine vorab vereinbarte Finanzierung unterstützt werden.
- Durch verbesserte Rechenschaftsmechanismen muss die Datenerhebung daraufhin überprüft werden, ob alle Menschen gleichberechtigt repräsentiert werden, damit niemand zurückgelassen wird.
- Mehr Transparenz bei ernährungsbezogenen Entwicklungsausgaben zu schaffen und dafür den „Nutrition Policy Marker“ der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) einsetzen. Der Nutrition Policy Marker bewertet den direkten und indirekten Ernährungsbezug von den Programmen von Gebern.
Sicherung neuer Investitionen und Förderung von Innovationen in der Ernährungsfinanzierung
Hunger kann verhindert werden. Frühwarnsysteme helfen den Menschen dabei, sich auf z. B. Dürre einzustellen.
Wir fordern daher:
- Die Einrichtung eines globalen Fonds für soziale Sicherung.
- Geberländer sowie fragile Staaten müssen ehrgeizige finanzielle Verpflichtungen zusagen, um Mangelernährung zu bekämpfen. Eine wichtige Rolle spielt dabei auch die Zuweisung verfügbarer Ressourcen innerhalb der Länder.
Schätzungen haben ergeben, dass zusätzliche 1,2 Milliarden US-Dollar benötigt werden, um die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die weltweite Ernährungssituation abzufangen. Insgesamt 8,2 Milliarden US-Dollar werden demnach benötigt, um die globalen Ernährungsziele zu erreichen.
Doch während sowohl der Anteil der Menschen, die humanitäre Unterstützung benötigen, als auch der finanzielle Bedarf steigen, sind die Finanzierungszusagen für die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit rückläufig. Mehr als die Hälfte der Finanzmittel für akute Mangelernährung im Jahr 2019 wurde über humanitäre Kanäle bereitgestellt, die im Allgemeinen einen weniger vorhersehbaren und kurzfristigen Finanzierungsansatz darstellen und daher weniger wirksam zur Stärkung der Systeme und zu einer nachhaltigen Finanzierung beitragen. Es bedarf daher dringend langfristiger und verbindlicher Finanzierungsmechanismen, die die allgemeine Gesundheitsversorgung in einkommensschwachen Ländern und die lokale Wirtschaft stärken.
Unsere Forderungen zum Nutrition for Growth Gipfel können Sie in ausführlicherer Form in diesem Positionspapier in englischer Sprache nachlesen. Dieses steht nachfolgend zum Download zur Verfügung.