Menschen in Niger warten in der Schlange auf Essen.

Sahelzone: Hunger wartet nicht

Die Hilfsorganisationen Aktion gegen den Hunger, CARE, NRC Flüchtlingshilfe, Oxfam und Save the Children warnen vor einer Hungerkatastrophe in der Sahelzone. Durch die Folgen von COVID-19 und den bevorstehenden Monaten, in denen die aktuelle Ernte verbraucht ist und Ernährung knapp wird, ist die Situation in der Region prekär. Die Organisationen kritisieren die Verschiebung einer internationalen Geberkonferenz, die ursprünglich für den 18. Juni geplant war. Die humanitäre Situation in der von multiplen Krisen betroffenen Region ist schon jetzt dramatisch, insgesamt 24 Millionen Menschen sind dringend auf humanitäre Hilfe angewiesen. Die Hälfte davon sind Kinder.

Wichtige Hilfsgelder fehlen

Die anhaltende Gewalt und Massaker gegen die Zivilbevölkerung zwingen immer mehr Menschen in die Flucht und lassen den Bedarf an humanitärer Hilfe drastisch steigen. Gleichzeitig sind die Hilfsprogramme in der Sahelregion stark unterfinanziert: Für das erste Halbjahr 2020 sind weniger als 26 Prozent der geplanten humanitären Projekte finanziert, im Jahr 2019 konnte nur die Hälfte der benötigten Mittel aufgebracht werden.

„Gerade in der Zeit zwischen Juli und August ist die Ernährungssituation besonders kritisch. Die Vertagung der Geberkonferenz ist ein weiterer Schlag, der für Millionen Menschen im Sahel tödlich sein könnte. Der Hunger wartet nicht. Die internationale Gemeinschaft kann die Sahelzone jetzt nicht im Stich lassen, wenn die Hilfe am nötigsten ist. Wir stehen an einem kritischen Wendepunkt“, sagen die Hilfsorganisationen.

Der Ausbruch von COVID-19 hat die humanitäre Situation und die Ernährungskrise verschärft. Schätzungen zufolge werden in der Zeit zwischen den Ernten 5,5 Millionen Menschen in der zentralen Sahelzone (Niger, Mali, Burkina Faso) unter Ernährungsunsicherheit leiden – das sind 2,5-mal mehr im Durchschnitt der letzten fünf Jahre. Die Maßnahmen der Staaten zur Eindämmung des Virus haben Worst-Case-Szenarien bislang verhindern können. Allerdings haben die Maßnahmen für viele Menschen, vor allem für die besonders vulnerablen Bevölkerungsgruppen, zu größerer Armut geführt.

Corona verschärft Ernährungs- und Gesundheitskrise

In Kaya, Burkina Faso, haben im April Binnenvertriebene vor dem Rathaus demonstriert und öffentlich Hilfe eingefordert. Für Frauen ist die Situation besonders schlimm, da viele selbst auf Nahrung verzichten, um ihre Kinder vor Mangelernährung zu schützen. „Corona ist gekommen und hat alles in meinem Leben verändert“, sagt der 15-jährige Ali aus der Maradi-Region im Niger. „Früher habe ich mindestens dreimal täglich gegessen, jetzt komme ich kaum auf zwei Mahlzeiten pro Tag. Mein Vater geht nicht mehr so oft raus wie sonst, um Geld zu verdienen.“

„Die COVID-19-Pandemie bringt zusätzlichen Druck in eine bereits unhaltbare Situation. Die Zeit zwischen den Ernten war schon immer eine schwierige Zeit für die Menschen im Sahel. Aber in der aktuellen Lage ist diese Jahreszeit eine tickende Zeitbombe. Wenn der Regen kommt, ist die Gefahr groß, dass sich zusätzlich Krankheiten wie Cholera und Malaria ausbreiten. Eine gute Gesundheitsversorgung und Zugang zu Wasser sind wichtiger denn je – und daran fehlt es den Menschen hier“, so die Organisationen.

„Diese Krankheit macht uns Angst. Man sagt uns, dass wir auf Hygiene achten sollen, aber wir haben kein Wasser und wir haben kein Essen“, sagt Zara, eine Binnenvertriebene in Kaya. „Wenn die Regenzeit kommt, werden wir Unterkünfte und Medikamente brauchen.“

Die internationale Gemeinschaft muss jetzt handeln

„Angesichts dieser beispiellosen Situation haben viele Staatsoberhäupter dem afrikanischen Kontinent ihre Solidarität ausgesprochen. Heute müssen wir allerdings feststellen, dass diesen Worten nicht genug Taten gefolgt sind. Die humanitären Geldgeber müssen ihre Sahel-Mittel dringend aufstocken und für die nächsten zwei Monate mindestens verdoppeln“, fordern die Organisationen.

Die internationale Gemeinschaft muss die Bemühungen der Sahel-Staaten unterstützen, den aktuellen Krisen und Herausforderungen zu begegnen. Im Jahr 2020 werden OCHA zufolge 2,8 Milliarden US-Dollar benötigt, um 24 Millionen Menschen mit lebenswichtiger humanitärer Hilfe zu versorgen. Zusätzliche 638 Millionen US-Dollar wurden für die Bekämpfung der Corona-Pandemie gefordert.

Die Sahel-Krise in Zahlen: 

  1. Die Zahl der Opfer durch Angriffe von bewaffneten Gruppen in Burkina Faso, Mali und Niger hat sich innerhalb von drei Jahren verfünffacht. Im Jahr 2019 wurden in diesen drei Ländern mehr als 4.000 Todesfälle durch diese Gewalt gemeldet, im Vergleich zu 770 Todesfällen im Jahr 2016 (Quelle: UNO) 
  2. Für das Jahr 2020 werden laut OCHA in der Sahelzone 2,8 Milliarden US-Dollar benötigt, um 24 Millionen Menschen lebensnotwendige Hilfe zukommen zu lassen. Ende März 2020 waren nur 13 % des Reaktionsplans von Burkina Faso finanziert.   
  3.  Die Hälfte der 24 Millionen Menschen, die humanitäre Hilfe benötigen, sind Kinder (Quelle: OCHA).  
  4. In der Sahelzone gibt es mehr als 2,5 Millionen Binnenvertriebene, Geflüchtete oder Rückkehrende (Quelle: UNHCR). Allein in Burkina Faso gibt es 921.000 Binnenvertriebene, 400.000 mehr als zu Beginn dieses Jahres (Quelle: CONASUR). 
  5. In Mali wurden seit Jahresbeginn 99.055 neue Vertreibungen registriert (Quelle: RRM/Rapid Response Mechanism).   
  6. In der zentralen Sahelzone (Niger, Mali, Burkina Faso) werden in der Zeit zwischen den Ernten schätzungsweise 5,5 Millionen Menschen unter Ernährungsunsicherheit leiden, was dem 2,5-fachen des Durchschnitts der letzten fünf Jahre entspricht. Am ausgeprägtesten ist der Anstieg in Burkina Faso (+213%) und in Mali (+142%) (Quelle: Analyses of the Harmonized Framework/Cadre Harmonisé, March 2020). Die Analysen zeigen, dass insbesondere die Region Liptako Gourma von Ernährungsunsicherheit betroffen ist. In diesen Zahlen sind die Auswirkungen des COVID-19 nicht berücksichtigt.  
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Vassilios Saroglou
17. JUNI 2020
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