Hungry for profits: Wie Konzerninteressen das Recht auf Nahrung gefährden

Hungry for profits: Wie Konzerninteressen das Recht auf Nahrung gefährden

Die globale Ernährungspolitik ist ein komplexes Geflecht aus Interessen, Akteur*innen und Praktiken. Sie haben direkten Einfluss darauf, wie Menschen rund um den Globus Nahrungsmittel anbauen, verarbeiten, handeln und konsumieren – und wer wieviel dadurch verdient. Auch der Preis von Lebensmitteln wird direkt von den zentralen Akteur*innen unseres Ernährungssystems beeinflusst und betrifft somit jeden von uns unmittelbar. Zwei wichtige Faktoren dafür, dass gegenwärtig drei Milliarden Menschen keinen Zugang zu gesunder Ernährung haben.  

Multinationale Agrar-, Saatgut- und Pestizidkonzerne sind die Profiteure des gegenwärtigen Ernährungssystems auf Kosten des Zugangs zu gesunder Ernährung für alle – und unternehmen große Anstrengungen, dass das auch so bleibt.

Das industrielle Ernährungssystem – was ist das?

Was ist ein Ernährungssystem?

Ernährungssysteme beschreiben den Weg der Lebensmittelherstellung vom Feld bis zum Teller. Sie umfassen die landwirtschaftliche Erzeugung, Verarbeitung, Verpackung, Transport und Vermarktung sowie den Handel und die Zubereitung von Lebensmitteln. 

Zunächst einmal ist festzuhalten, dass unser aktuelles Ernährungssystem auf der industriellen und auf Masse angelegten Produktion und Verarbeitung basiert. Das bedeutet in der Praxis:  

  • Den Ausbau von Monokulturen: Der Anbau großer Flächen mit einer einzigen Pflanzenart erhöht die Effizienz, führt aber zu Bodendegradation und erhöhter Anfälligkeit für Schädlingsbefall.
  • Den Einsatz von Chemikalien: Die intensive Nutzung von Pestiziden, Herbiziden und synthetischen Düngemitteln führt zur kurzfristigen Erhöhung der Erträge, aber schadet Wasser, Biodiversität und Böden.
  • Die Mechanisierung von Landwirtschaft & Verarbeitung: Der hohe Einsatz von Maschinen und Technologien steigert die Produktivität und reduziert die Arbeitskosten.
  • Globale Lieferketten: Produktion und Vertrieb von Lebensmitteln erfolgen über weite Entfernungen, oft mit erheblichen Umweltauswirkungen und Anfälligkeit für Unterbrechungen wegen verschiedener Krisen.
  • Die Konzentration von Macht: Einige große multinationale Konzerne kontrollieren den Markt rund um Agrarrohstoffe, Saatgut und Pestizide. 

Wir wissen längst: Diese Art der Produktion und Verarbeitung schadet der Umwelt und trägt zum Klimawandel bei. Sie führt zu Bodendegradation, dem Verlust von Biodiversität und zu gesundheitlichen Risiken für Menschen innerhalb der Produktionsketten. Außerdem verstärkt das industrielle Ernährungssystem soziale Ungleichheiten durch Finanzspekulationen mit Lebensmittelpreisen und den Marktvorteilen von großen Konzernen vor kleinen Agrarbetrieben.  

Zwischen 1900 und 2000 wurde die landwirtschaftliche Biodiversität um 75% reduziert.

30.000 Pflanzen sind essbar. Von nur 30 ernährt sich die Welt.

5 Unternehmen kontrollieren bis zu 90 Prozent des gesamten Getreidehandels.

Auf diese Weise sorgt es trotz Fokus auf Massenproduktion noch nicht einmal für viele satte Menschen – sondern allem voran satte Profite. 

Marktmacht und Einflussnahme: Wer profitiert?  

Sowohl die Agrarindustrie, als auch der Pestizid- und Saatgutmarkt werden von einigen wenigen Firmen dominiert. Solche Marktmacht führt zu geringerem Wettbewerb und großer wirtschaftlicher Macht: Wenige Konzerne können Produkte, Preise und die Qualität der Produkte diktieren und haben teilweise einzigartiges Wissen über die Rohstoffbestände in ihrer Kontrolle. All diese Faktoren nutzen die Konzerne geschickt zur Steigerung ihrer Gewinne und ihrer Marktdominanz.

1. Die größten Agrarkonzerne

Cargill – kaum jemand in Deutschland hat je von diesem Namen gehört. Dabei ist das Unternehmen das größte Privatunternehmen in den Vereinigten Staaten – und der einflussreichste Agrarkonzern weltweit. Er ist einer der „Big 5“, zu denen außer Cargill noch ADM, Bunge, COFCO und Dreyfus gehören.  

Diese oft unter dem Akronym ABCCD zusammengefassten Unternehmen dominieren weite Teile der Nahrungsmittelversorgungsketten und beeinflussen massiv die weltweite Agrarpolitik. ABCCD kontrollieren weltweit zwischen 70 und 90 Prozent des gesamten Handels mit Getreide. Zusätzlich halten sie teilweise tausend Sub-Unternehmen, die eine transparente Einsicht in alle Einfluss- und Unternehmensbereiche unmöglich macht. Ihr exklusives Wissen über reale Lagerbestände, gepaart mit spezialisierten Finanzteams, versetzt sie in die Lage, lukrative Geschäfte über den Börsenpreis von Grundnahrungsmitteln zu machen. In den letzten drei Jahren haben sich die Gewinne der fünf größten Agrarrohstoffhändler im Vergleich zu den Jahren davor verdreifacht – während gleichzeitig immer mehr Menschen keinen Zugang zu angemessenen Nahrungsmitteln hatten.  

2. Die größten Pestizid- und Saatgutkonzerne

DuPont-Dow, ChemChina-Syngenta und Bayer-Monsanto: Nur drei Konzerne vereinnahmen bis zu 60 Prozent des weltweiten Marktes für kommerzielles Saatgut und Agrarchemikalien, wobei Bayer allein über ein Drittel des kommerziell verfügbaren Saatguts kontrolliert.  

Besonders erfolgreiches Konzept: Bäuer*innen wird genetisch modifiziertes Saatgut in Kombination mit besonderen Pestiziden verkauft, die den Schutz vor Ernteausfällen durch Krankheiten und Schädlinge versprechen. Die Aussicht nach gesteigerten Erträgen durch sichere Ernten wird begleitet von einem bitteren Beigeschmack: der Ausbeutung von Böden, giftigen Chemikalien bei der Düngung und der Abhängigkeit von bäuerlichen Betrieben von patentiertem Saatgut, für das sie jedes Jahr erneut zahlen müssen. 

So beeinflussen Konzerninteressen die Politik

Viele soziale und ökologische Probleme des industriellen Ernährungssystems würden sich durch agrarökologische Ansätze lösen lassen. Agrarökologie ist auch ein zentraler Baustein im Kampf gegen den Hunger, denn der Ansatz basiert auf nachhaltigen und krisenfesten Anbaumethoden, die Bodenfruchtbarkeit und Ernteerträge verbessern, senkt die Kosten für Kleinbäuer*innen durch größere Autonomie und stärkt lokale Ernährungssysteme. 

Konzerne wie Bayer-Monsanto oder Cargill haben erhebliches Interesse daran, einen ökologischeren, konzernunabhängigeren und sozialeren Wandel der Anbau- und Verarbeitungssysteme zu verhindern. Sie nutzen daher ihre große Marktmacht, um politische Entscheidungen im Ernährungssektor zu beeinflussen, darunter:

  1. Lobbying und direkte politische Einflussnahme: Lobbyist*innen der Agrarindustrie treten in direkten Kontakt mit politischen Entscheidungsträger*innen. Sie organisieren Treffen, schreiben Stellungnahmen und bieten Expertise zu spezifischen Themen an. Durch regelmäßige Interaktionen bauen sie Beziehungen zu Politiker*innen auf, die ihre Anliegen unterstützen.
  2. Finanzielle Unterstützung und Wahlkampfspenden: Agrarunternehmen und Interessensgruppen leisten vor allem in den USA mitunter finanzielle Beiträge zu Wahlkampagnen von Politiker*innen.  
  3. Think Tanks und Forschungseinrichtungen: Die Konzernlobby finanziert und unterstützt Think Tanks und Forschungseinrichtungen, die Studien und Berichte erstellen, die ihre Positionen und Interessen untermauern. Diese Studien werden genutzt, um politische Argumente zu stützen und die öffentliche Meinung zu beeinflussen.
  4. Öffentlichkeitsarbeit und Medienkampagnen: Durch gezielte Öffentlichkeitsarbeit und Medienkampagnen wird die öffentliche Meinung beeinflusst. Technische und chemische Lösungen wie synthetischer Dünger werden oft als Lösung für gesteigerte Erträge inszeniert – ohne auf die langfristigen Schäden einzugehen.  
  5. Berufliche Netzwerke und Verbände: Agrarverbände und -organisationen bieten eine Plattform für die Vernetzung und den Austausch unter den Akteur*innen der Agrarindustrie. Diese Netzwerke stärken den Zusammenhalt und die Koordination der Lobbyarbeit, was die Schlagkraft der Lobby erhöht.
  6. Teilnahme an politischen Gremien und Ausschüssen: Vertreter*innen der Agrarindustrie sitzen oft in wichtigen politischen Gremien und Ausschüssen, wo sie direkten Einfluss auf die Ausarbeitung von Gesetzen und Regelungen nehmen können. Ihre Expertise und praktische Erfahrung werden oft als wertvoll erachtet und fließen in die Entscheidungsprozesse ein. 

Wie Unternehmen die Ernährungspolitik beeinflussen - Infografik von Aktion gegen den Hunger

Insgesamt zeigt sich der Einfluss der Agrarlobby in vielen politischen Entscheidungen, die oft zugunsten großer landwirtschaftlicher Interessen ausfallen – nicht selten auf Kosten von Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen. So haben die Bauernproteste Anfang 2024 in Deutschland und Europa zu Lockerungen der Umweltauflagen geführt. 

Die Agrarlobby in der EU

Ein Beispiel für den Einfluss der Agrarlobby ist die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der Europäischen Union. Hier hat die Agrarlobby einen erheblichen Einfluss auf die Gestaltung der Subventionspolitik, die oft große landwirtschaftliche Betriebe bevorzugt – und nachhaltige, umweltfreundlichere Praktiken weniger berücksichtigt.

So ist ein großer Teil der EU-Subventionen für landwirtschaftliche Betriebe an Fläche gekoppelt – es profitieren also vor allem die Akteur*innen, denen große landwirtschaftliche Gebiete gehören. Nicht die Bäuer*innen, die diese bewirtschaften. Zu den größten Empfänger*innen dieser sogenannten „Agrar-Holdings“ gehören unter anderem Aldi Nord, Südzucker und der Heiztechnik Hersteller Viessmann. 

Was muss die Politik tun?  

Die unverhältnismäßige Machtkonzentration in den Händen einiger großer multinationaler Unternehmen ist eines der größten Hindernisse für ein nachhaltigeres Ernährungssystem und somit eine gerechtere und ökologischere Welt.  

Es ist überfällig, dass die Politik das Recht auf angemessene Nahrung sowie den Erhalt der biologischen und ökologischen Vielfalt über die Interessen mächtiger Konzerne stellt. Dafür muss sie unter anderem:

  • Transparenzmechanismen zum Nachweis von politischer Einflussnahme stärken
  • den Einfluss privater Unternehmen auf politische Prozesse eindämmen und stattdessen die Stimmen von Kleinbäuer*innen und derjenigen berücksichtigen, die von Hunger und Ernährungsunsicherheit betroffen sind
  • agrarökologische Ansätze bevorzugt fördern und umsetzen
  • sich auf lokaler, europäischer und nationaler Ebene für eine Agrarpolitik einsetzen, die dem Gemeinwohl verpflichtet ist
  • Lebensmittel als Gemeingut und Menschenrecht behandeln und nicht als Handelsware
3. JUNI 2024
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