Jane Muthonis arbeitet als Reinigungskraft im Kapenguria Referral Hospital in West Pokot, Kenia. Ihr zehn Monate alter Sohn begleitet sie bei ihrem Arbeitstag. Knurrt dem Kleinen das Bäuchlein, zieht sich Jane in den Stillraum des Krankenhauses zurück und gibt ihrem Baby in geschützter Atmosphäre die Brust. In vielen Ländern ist ein solcher Stillraum noch immer ein Privileg.
Stillen von Anfang an: So helfen Stillprogramme
Der Raum wurde mit Unterstützung von Aktion gegen den Hunger eingerichtet, um dem Krankenhauspersonal einen komfortablen und bequemen Raum zum Stillen ihrer Kinder anzubieten – auch während der Arbeitszeit. Hier finden die Frauen außerdem Aufklärungsmaterial über das Stillen und die Ernährung von Kleinkindern.
Stillen bietet zahlreiche gesundheitliche Vorteile für Babys und ihre Mütter: Die Babys erhalten mit der Muttermilch von Anfang an wichtige Nährstoffe, Vitamine und Spurenelemente für eine gesunde körperliche und geistige Entwicklung. Mütter geben über die Milch zudem Antikörper gegen Krankheiten an ihr Kind weiter, die sie gegen Infektionen schützen. Auch die Mütter profitieren von der Stillbeziehung: Die emotionale Bindung zum Kind wird gestärkt und das mütterliche Risiko für Diabetes, Herzkrankheiten und bestimmte Krebsarten sinkt. Darüber hinaus erspart das Stillen den Familien hohe Kosten für Muttermilchersatzprodukte und vermeidet das Risiko, dass Säuglinge mit der Nahrung verunreinigtes Wasser zu sich nehmen, das die Gefahr für Durchfall erhöht – eine der Haupttodesursachen bei Kindern unter fünf Jahren und ein Grund für gefährliche Mangelernährung.
Die ersten 1000 Tage sind entscheidend
Vom Beginn der Schwangerschaft bis zum Abschluss des zweiten Lebensjahres vergehen etwa 1000 Tage. In dieser Zeit ist es besonders wichtig, dass ein Kind die richtigen Nährstoffe erhält, damit es sich körperlich und geistig gesund entwickelt. Die Anlagen aus dieser Zeit beeinflussen die Entwicklung im gesamten weiteren Leben. Das bedeutet: Auch die Ernährung der Mutter vor und während der Schwangerschaft spielt eine große Rolle.
- Schwangerschaft bis Geburt: Die Mutter versorgt ihr Baby während der Schwangerschaft mit allen wichtigen Nährstoffen.
- Bis zum 6. Lebensmonat: Neugeborene bekommen alle wichtigen Nährstoffe über die Muttermilch und erhalten dazu eine Grundimmunisierung gegen viele Krankheiten.
- Bis zum 2. Lebensjahr: Das Kind kann langsam an nahrhafte, gesunde feste Lebensmittel herangeführt werden, Muttermilch versorgt es weiterhin ergänzend mit wichtigen Nährstoffen.
In allen drei Phasen wichtig: Ist die Mutter mangelernährt, wird auch das ungeborene Baby nicht vollständig versorgt und kommt mangelernährt zur Welt. Daher behandelt Aktion gegen den Hunger auch werdende und stillende Mütter gegen Mangelernährung.
Die Weltgesundheitsorganisation benennt das Stillen daher klar als eine der effektivsten Möglichkeiten, die Gesundheit und das Überleben des Kindes zu sichern und empfiehlt das ausschließliche Stillen in den ersten sechs Lebensmonaten.
Für berufstätige Mütter kann es allerdings eine Herausforderung sein, ihre beruflichen Pflichten mit dem Stillen in Einklang zu bringen.
„Ich bin dankbar für die Gruppe, die das Stillprogramm in unser Krankenhaus gebracht hat. Dadurch kann ich mein Kind gut stillen, was für die Ernährung sehr wichtig ist“, bekräftigt Jane. „Wenn es den Stillraum nicht gäbe […] müsste [ich] mein Kind zu Hause lassen und hätte tagsüber keine Pausen, um nach Hause zu gehen und ihn zu stillen. Ich wäre mir nicht sicher, ob die Milch, die ich ihm dalassen würde, richtig verabreicht wird.“
Muttermilch statt teure Muttermilchersatzprodukte
Trotz der großen Vorteile des Stillens werden Muttermilchersatzprodukte immer beliebter. Klar, Flaschennahrung hat in jedem Fall ihre Berechtigung – aus verschiedenen Gründen. So kann sie aus medizinischer Sicht sinnvoll sein, oder weil Frauen schneller wieder unabhängig sein wollen oder müssen. Der Punkt ist, dass Eltern die freie Wahl haben sollten, wie sie ihr Kind ernähren. Genau diese Wahl wird ihnen vielerorts aktuell aber genommen.
Denn die weltweit größten Hersteller von Babymilchpulver betreiben aggressives Marketing für ihre Produkte. Mit diesem Marketing beeinflussten sie Eltern so sehr, dass sie sich eher für das Ersatzprodukt entscheiden, teilweise sogar entscheiden müssen, etwa wenn Mütter direkt nach der Geburt Milchpulver-Probepäckchen erhalten, die so lange ausreichen, bis sie selbst nicht mehr ohne Weiteres Milch produzieren können. Viele Eltern gerade im Globalen Süden haben im Anschluss aber nicht mehr genügend Geld für die Produkte und verdünnen sie in ihrer Not, so dass der Nährwert für die Entwicklung des Kindes nicht mehr ausreicht.
So bringen die werbenden Unternehmen Kinderleben besonders in Ländern des Globalen Südens in Gefahr. Ihre Botschaft: Die Ersatzprodukte seien gesünder – wer sein Kind liebt, füttert es mit Muttermilchersatz. Häufig verstoßen die Unternehmen mit ihrer Werbestrategie gegen den Internationalen Kodex der Weltgesundheitsorganisation WHO. Dieser legt fest:
- „keine Werbeaktivitäten in der Öffentlichkeit“,
- „keine Geschenke an Mütter oder Gesundheitspersonal“ und
- „keine kostenlosen Proben“.
Die Verdrängung des Stillens durch Babymilchpulver besonders in den Ländern des Globalen Südens steht in direktem Zusammenhang mit hunderttausenden Fällen von Mangelernährung und sogar dem Tod von Kindern in ihren ersten Lebensjahren: Würden Säuglinge hauptsächlich gestillt werden, wären jedes Jahr mehr als 600 000 Todesfälle bei Kleinkindern in Entwicklungs- und Schwellenländern vermeidbar. Babys, die nicht gestillt werden, sterben häufiger an einer Lungenentzündung oder Durchfall. Hinzu kommt, dass die Produkte eine finanzielle Belastung für die oft einkommensschwachen Haushalte darstellen.
Abbau von Stillbarrieren durch unsere Projekte
Aktion gegen den Hunger setzt sich weltweit dafür ein, das Stillen von Säuglingen zu fördern und Stillbarrieren abzubauen. Mütter wie Jane werden durch das Projekt „Systems Enhancement for Transformative Health“ (SETH) unterstützt. Im Rahmen des Projekts bauen wir Stillräume und schulen Gesundheitspersonal darin, die Vorteile des Stillens aufzuzeigen, bewährte Praktiken weiterzugeben und die Einrichtung lokaler Selbsthilfegruppen zu fördern. Diese Initiativen helfen Kapenguria und anderen Krankenhäusern in Kenia, die Auszeichnung „Babyfreundliches Krankenhaus“ zu erhalten.
Positive Effekte sind deutlich spürbar
Durch die Unterstützung und Förderung des Stillens trägt das SETH-Projekt dazu bei, einen gesunden Lebensstart für Babys in West Pokot zu ermöglichen. Das Projekt hat die Stillrate unter den Müttern in der Region deutlich erhöht und dazu beigetragen, Missverständnisse über die Sicherheit und die Wirksamkeit des Stillens zu beseitigen und einen positiven Meinungsaustausch unter den Gemeindemitgliedern zu fördern.
„Was das Projekt für die Mitarbeitenden leistet, ist großartig“, sagt Dr. David Karuri, der Oberarzt der Klinik Kapenguria. „Wir als Arbeitgeber sind stolz darauf, die Mitarbeitenden auf höchstem Niveau zu betreuen. Viele unserer Mitarbeiterinnen sind im gebärfähigen Alter. So sehr wir ihre professionellen Dienste nach der Mutterschaft brauchen, so sehr möchten wir auch, dass sie optimal belastbar sind. Als Oberarzt muss ich sicherstellen, dass ich den Patient*innen medizinische Versorgung höchster Qualität biete. Dazu gehört, dass ich motivierte Mitarbeitende habe. Denn am Ende des Tages sind sie diejenigen, welche die Leistungen erbringen.“ Für Miriam Cherop Mulasiwa, eine Ernährungsberaterin des Krankenhauses, liegen die Vorteile auf der Hand.
„Der Stillraum hat unserem Gesundheitspersonal geholfen, weiterhin zu stillen. Es ist ein sehr gutes Beispiel für andere Menschen in der Gemeinde“, sagt sie und merkt an, dass die Häufigkeit von Infektionen bei Babys dadurch zurückgegangen ist. „Als Ernährungsberaterin bin ich froh, wenn ich sehe, dass Mütter ihre Babys ausschließlich stillen und den ganzen Tag über zu ihren Babys gehen können. Sie sind so glücklich und das macht mich auch fröhlich.“