Eine Welt ohne Hunger – das ist die Vision, die wir mit unserer weltweiten Arbeit verfolgen. Doch die Folgen der Corona-Pandemie, anhaltende bewaffnete Konflikte und die Klimakrise sorgen dafür, dass die Zahl der Menschen, die von Hunger und Mangelernährung bedroht sind, wieder zunimmt. 733 Millionen Menschen weltweit haben nicht genug zu essen. Besonders davon betroffen sind Frauen und Mädchen. Ihre Wahrscheinlichkeit, an Mangelernährung zu leiden, ist rund 30 Prozent höher als für Männer.
Ein wichtiger Grund dafür: Frauen und Mädchen weltweit haben häufig nicht die gleichen Rechte, wie Männer. Besonders im Globalen Süden beeinträchtigen kulturelle Rollenzuschreibungen die Entwicklungs-und Entfaltungsmöglichkeiten von Frauen und Mädchen:
- Sie erhalten weniger Bildung.
- Sie haben schlechteren Zugang zu Ressourcen wie Land, Krediten und hochwertigem Saatgut.
- Sie erhalten kulturell bedingt häufig weniger oder minderwertigere Nahrung als Männer.
- In Konflikt- oder Notsituationen können sie weniger flexibel ihre Situation verändern, da sie für die Pflege und Versorgung von Angehörigen verantwortlich sind.
Gleichzeitig sind Frauen besonders im Globalen Süden meist für die Versorgung der Familie mit Nahrung und die Produktion von Lebensmitteln zuständig. Die Welternährungsorganisation schätzt, dass rund 150 Millionen Menschen weniger hungern würden, wenn Frauen weltweit die gleichen Möglichkeiten, Ressourcen und Zugänge hätten, wie Männer. Deswegen setzen wir uns mit einer Petition für die Stärkung der Rechte von Frauen und Mädchen ein.
Geschlechtergerechtigkeit: die Grundlage für weniger Hunger
Für unsere Arbeit bedeutet das: Der Kampf gegen Hunger und Mangelernährung ist unweigerlich verbunden mit dem Kampf für mehr Geschlechtergerechtigkeit. Doch was heißt das konkret? Unsere Kolleginnen aus einigen unserer Projektländer in West- und Zentralafrika, Zentralamerika und dem Nahen Osten berichten, wie die Situation von Frauen und Mädchen vor Ort ist und wie Aktion gegen den Hunger ihre Position stärkt.
Se-ember Oteyi über Nigeria
Se-ember Oteyi ist Spezialistin für Gender und soziale Inklusion in unserem Team in Nigeria. Aktion gegen den Hunger ist in Nigeria mit knapp 600 Mitarbeitenden vor Ort. Obwohl Nigeria die zweitstärkste Wirtschaftskraft Afrikas ist, brauchen 8,7 Millionen Menschen humanitäre Unterstützung. Armut und Mangelernährung sind weit verbreitet:
- Jeder dritte Mensch in Nigeria lebt unterhalb der Armutsgrenze, bei Kindern sind es sogar drei von vier.
- Die Müttersterblichkeit ist die vierthöchste der Welt – ein Grund dafür ist chronische Mangelernährung, die sich schon im Kindesalter manifestiert.
- Über 80 Prozent aller Kinder im Alter von 6 bis 23 Monaten erhalten keine angemessene Ernährung.
Wie trägt Aktion gegen den Hunger zur Ernährungssicherheit von Frauen und Mädchen in Nigeria bei?
Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) hat festgestellt, dass es direkte Auswirkungen auf die Ernährungssicherheit und die Ernährung von Haushalten – insbesondere Kindern – gibt, wenn sich der soziale und wirtschaftliche Status von Frauen verbessert. Das beobachten auch wir: Wenn Frauen ein zusätzliches Haushaltseinkommen erhalten, geben sie es tendenziell häufiger für Lebensmittel, für die Gesundheit oder die Bildung der Kinder aus als Männer.
Welchen Effekt haben die Aktivitäten von Aktion gegen den Hunger auf Frauen und Mädchen?
Mehr Informationen zu unserer Arbeit in Nigeria.
Aminata Ba über die Region West-und Zentralafrika
Aminata Ba arbeitet als Beraterin für Gender, geschlechterbasierte Gewalt und Schutz in unserem Team für die Region West-und Zentralafrika. Zu dieser Region gehören Länder wie Burkina Faso, Liberia, Mali, die Demokratische Republik Kongo und die Zentralafrikanische Republik. Wegen anhaltender Konflikte, steigenden Lebensmittelpreisen und den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie ist der Hunger in diesen Ländern auf einem Höchststand seit fast einem Jahrzehnt.
- Der Preis für Grundnahrungsmittel ist in einigen Regionen um 200 Prozent gestiegen.
- Das Welternährungsprogramm schätzt, dass 31 Millionen Menschen keinen ausreichenden Zugang zu Nahrungsmitteln haben.
- Nahrungsmittelhilfen sind für viele Familien der einzige Zugang zu Lebensmitteln.
Wie ist die Situation von Frauen und Mädchen in West-und Zentralafrika?
Aktion gegen den Hunger legt in seiner Arbeit einen Fokus auf die Bedürfnisse von Frauen. Warum?
Sandra Angel über Kolumbien
Sandra Angel ist unsere Koordinatorin für Gender-Fragen in Kolumbien. Die humanitäre Situation in dem südamerikanischen Land ist durch bewaffnete Konflikte und das kulturelle Erbe des Bürgerkriegs, die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie und große Migrationsbewegungen aus dem Nachbarland Venezuela sehr angespannt. Überschwemmungen und andere Naturkatastrophen führen zur weiteren Verschlechterung der Situation und der Ernährungssicherheit.
- 6,7 Millionen Menschen benötigen Schutz, Nahrungsmittelhilfen, medizinische Versorgung oder andere grundlegende Unterstützung.
- 2,9 Millionen Menschen leben in Zuständen, die als „katastrophal“ eingeordneten werden.
- 1,7 Millionen geflüchtete Menschen aus Venezuela leben in Kolumbien, 70 Prozent davon mussten die Anzahl ihrer täglichen Mahlzeiten reduzieren.
- Seit 2019 ist die Anzahl der durch Gewalt und Konflikte vertriebenen Menschen um über 250 Prozent angestiegen.
Aktion gegen den Hunger adressiert in seiner Arbeit die sexualisierte Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Was hat das mit Hunger zu tun?
Alle Videos unserer Gender-Spezialistinnen auf Youtube ansehen.
Wie stärkt Aktion gegen den Hunger Frauen in Kolumbien?
Mit der Unterstützung von unterschiedlichen Gebern setzen wir auf nationaler Ebene Projekte zur Gleichstellung der Geschlechter, zur wirtschaftlichen Stärkung von Frauen und zum Schutz ihrer sexuellen und reproduktiven Rechte um. Zudem setzen wir uns mit unserer Arbeit für politische Veränderungen ein, wie beispielsweise eine bessere Gender-Politik und Richtlinien gegen die Belästigung am Arbeitsplatz.
Mehr zu unserer Arbeit in Kolumbien.
Badya Dayoub über Syrien
Badya Dayoub über Syrien
Badya Dayoub ist Gender-Beauftrage in unserem Team in Syrien. Das Land und seine Menschen stehen unter dem Einfluss eines bereits zehn Jahre andauernden Bürgerkriegs:
- 80 Prozent der Bevölkerung leben in Armut.
- 60 Prozent sind von Ernährungsunsicherheit betroffen.
- Drei von vier Syrer*innen sind für die Grundversorgung auf externe Hilfe angewiesen.
Aktion gegen den Hunger ist seit 2008 als eine der wenigen humanitären Hilfsorganisationen vor Ort.
Was macht eigentlich eine Gender-Beauftragte?
Meine Aufgabe besteht im Wesentlichen darin, in all unseren Programmen zum Thema Gender und Geschlechtergerechtigkeit zu beraten. Außerdem unterstütze ich bei der Entwicklung und Durchführung von Gender-sensiblen Komponenten in unserer Programmarbeit. So trage ich dazu bei, dass Frauen entsprechend ihrer Bedürfnisse gefördert werden und Gender-sensible Strategien und Programme in unserer Arbeit ausgebaut werden. Dazu gehört natürlich auch die Durchführung von Gender-Analysen, die Überprüfung der Errungenschaften unserer Programme mit unserer Gender-Arbeitsgruppe. Dies beinhaltet die Durchführung einer Gender-Analyse und die Verfolgung des Gender-Fortschritts mit der Gender-Arbeitsgruppe in der Mission.
Was sind besondere Herausforderungen für Frauen und Mädchen in Syrien?
Die humanitäre Krise in Syrien hat verheerende Folgen für Frauen und Mädchen. Von Ernährungsunsicherheit über den Verlust von Bildungschancen, den Mangel an sauberem Wasser und Gesundheitsdiensten bis hin zu einer hohen Rate an geschlechtsspezifischer Gewalt – Frauen und Mädchen sind den Auswirkungen der Krise schonungslos ausgesetzt. In vielen Gemeinden wird zudem ein besorgniserregender Anstieg von Kinderehen gemeldet.
Viele Frauen sind sich ihrer Rechte nicht bewusst und glauben beispielsweise, dass Bildung vor allem den Männern ihres Haushalts zusteht. Sie glauben, dass Teile ihrer Belastungen einfach ihre Pflicht oder Verantwortung sind und können nicht erkennen, dass sie das Recht auf ein anderes Leben haben. Dafür verantwortlich sind häufig fehlende Bildung sowie mangelnde Lese- und Schreibfähigkeiten.
Außerdem müssen Frauen in Syrien unter all diesen Herausforderungen und mit dem ständigen Risiko des Krieges länger und mehr arbeiten, um sich zu versorgen. Dabei sind sie fortwährend gesellschaftlichen Stigmas ausgesetzt, wie: geschiedene Frauen sollen nicht draußen arbeiten, junge Frauen sollen keinen „männlichen“ Aktivitäten nachgehen.
Wie fördert Aktion gegen den Hunger die Position von Frauen und Mädchen vor Ort?
Diese Schritte unternehmen wir, um die persönliche und die Ernährungssicherheit von Frauen und Mädchen zu stärken:
- Schulung von Gemeindemitgliedern beim Erkennen und Behandeln von Mangelernährung.
- Aufklärung und Beratung über die richtige Ernährung von Babys und Kleinkindern sowie Hygienepraktiken.
- Aufklärungsarbeit über die gesundheitlichen Vorteile des Stillens und Stillberatung.
- Wasserzugänge in Haushalten werden ausgebaut, da Frauen beim Beschaffen von Wasser häufig anfällig für Übergriffe sind.
- Wo kein Wassernetz vorhanden ist, liefern wir Wasser direkt an Frauen, um sie vor Übergriffen zu schützen.
Wir setzen uns außerdem dafür ein, dass der Wiederaufbau in Syrien den Bedürfnissen von Frauen Rechnung trägt und versuchen, zu einem Wandel von gesellschaftlichen Strukturen beizutragen.
- Beim Aufbau öffentlicher Gesundheitszentren richten wir separate Frauenbereiche ein.
- Wir schaffen Frauenkliniken für eine sichere Behandlung.
- In unserem Programm zum Wiederaufbau von Wohnungen räumen wir Frauen und Müttern Priorität ein, um sie vor Übergriffen und finanzieller Ausbeutung zu schützen.
- In den Wohnungen installieren wir Wasserzugänge und Sanitärvorrichtungen, damit Frauen Haushaltsaufgaben zeitsparend und sicher durchführen können.
- Wir bewerten und überprüfen unsere Programme mit speziell entwickelten Tools und Fragebögen, um sicherzustellen, dass die Bedürfnisse von Frauen aller Altersklassen berücksichtigt werden.
- Wir bieten Frauen psychologische Unterstützung an.
Grundsätzlich sind Frauen in all unseren Projektbereichen integriert und beteiligt, indem sie beispielsweise Zugang zu Leistungen und Ressourcen erhalten, in der Planung mitwirken oder Aufsichtsfunktionen übernehmen (zum Beispielbei der Übergabe von Wassertanks).
Mehr zu unserer Arbeit in Syrien.
Gender Mainstreaming
Ein wichtiges Schlüsselwort für unsere Arbeit im Globalen Süden, aber auch in unseren Planungs- und Organisationsprozessen lautet: „Gender Mainstreaming“. Die Grundlage von Gender Mainstreaming ist es anzuerkennen, dass die gleichen Aktionen, Prozesse oder Situationen auf Frauen und Männer aufgrund ihrer unterschiedlichen Lebenssituation und Möglichkeiten häufig unterschiedlich wirken. Mit diesem Wissen im Hinterkopf soll Gender Mainstreaming beispielsweise in der Politik oder in der Entwicklungszusammenarbeit dafür sorgen, dass Chancen, Möglichkeiten und Verpflichtungen gleich verteilt sind.