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Hilfsorganisationen warnen vor Hungerkrise im Kongo: Hunderttausende in Not

Hunderttausende Menschen in Not

Bonn/Berlin, 22.10.2019. Hunderttausende Menschen, die aus ihren Häusern in der Provinz Ituri in der Demokratischen Republik Kongo geflohen sind, brauchen dringend Nahrung, Wasser, Unterkunft und Medikamente, warnen heute elf Hilfsorganisationen. Fünf Monate nach dem Wiederaufleben von schrecklicher Gewalt teilen die Hilfsorganisationen mit, dass Menschen jeden Tag an vermeidbaren Krankheiten sterben. In einer gemeinsamen Erklärung weisen Aktion gegen den Hunger, AVSI, Danish Refugee Council, Intersos, Mercy Corps, NRC Flüchtlingshilfe, Oxfam, Solidarités International, Tearfund, Trócaire und Welthungerhilfe darauf hin, dass die Menschen ihre Vorräte aufgebraucht haben, ohne dass es eine neue Ernte gibt. Sie beklagen, dass die Nahrungsmittelpreise sich verdoppelt haben, was zu mehr Hunger führt.

Die Hygienesituation ist katastrophal

Die Mehrheit der Vertriebenen lebt bei Gastfamilien, die selbst arm sind und keine ausreichenden Ressourcen haben. Andere leben unter beengten Bedingungen an öffentlichen Orten wie Kirchen und Schulen oder in überfüllten Notunterkünften. Laut Behörden müssen sich in einigen Fällen bis zu 500 Menschen eine Toilette teilen, während andere schmutziges Wasser trinken, das gefährliche Krankheitserreger enthält. Viele schlafen in notdürftig errichteten Unterkünften, die nur wenig Schutz vor starken Regenfällen bieten. Zudem erhöhen diese Bedingungen das Risiko sexueller Gewalt gegen Frauen und Mädchen.

Brutale Gewalt und unvorstellbares Leid

Seit Mai dieses Jahres sind Hunderte von Menschen bei brutalen Angriffen von bewaffneten Männern in den Gebieten Djugu und Mahagi getötet worden. Um sich zu retten, sind über 360.000 Menschen aus zerstörten Dörfern geflüchtet. Die Hilfsorganisationen fordern den Schutz aller Zivilisten und ein sofortiges Ende der Gewalt. Beinahe alle Vertriebenen, mit denen sie sprachen, sind Zeugen von Gräueltaten geworden. Rachel* verlor bei einem Angriff auf tragische Weise ihre vier Kinder und ihren Mann. Sie versucht durch die Arbeit auf den Feldern zu überleben, berichtet aber, dass sie jeden Tag um ihr Leben fürchtet. Rachel erzählt: „Vor einigen Monaten kam ich hierher, um der Gewalt in meinem Dorf zu entkommen. Es war das zweite Mal, dass ich fliehen musste. Ich habe meine vier Kinder und meinen Mann verloren, weil sie einer anderen Ethnie angehörten. Um hier leben zu können, arbeite ich täglich auf den Feldern, aber es ist nicht sicher. Da ich für den Anbau von Getreide eine Machete bei mir habe, halten mich die Leute für eine der Angreifer/innen.“

Nun droht eine Hungerkrise

Die aktuelle Welle der Gewalt hat die Spannungen zwischen den verschiedenen Gemeinschaften neu entfacht – mit verheerenden Folgen. Aus Angst, angegriffen zu werden, können die Menschen nicht mehr zu den Märkten fahren. Viele standen kurz vor der Ernte, als sie gezwungen waren, ihre Felder und Ernten zurückzulassen. Damit verlieren sie die vierte Ernte in Folge, und es fehlt an Nahrung und Einkommen. Mit dem Beginn der Hunger-Saison hat sich der Preis für Bohnen und andere Grundnahrungsmittel in einigen Orten bereits mehr als verdoppelt. Nahezu die Hälfte der Bevölkerung im betroffenen Gebiet kann sich ohne Hilfe von außen nicht ausreichend ernähren. Corinne N'Daw, Landesdirektorin Oxfam in der DR Kongo, berichtete: „Die Lage ist dramatisch: Zahlreiche Kinder leiden an Mangelernährung. Die meisten Menschen haben alles verloren, was sie besitzen und sind Zeugen schrecklicher Gräueltaten geworden. Nun stehen sie vor einem gefährlichen Dilemma. Entweder sie haben nichts zu essen, oder sie riskieren ihr Leben, um auf die Felder zurückzukehren.“ Da sich die Menschen über weite Entfernungen in abgelegenen Gebieten verstreut aufhalten, ist es nach Auffassung der Hilfsorganisationen eine große Herausforderung, alle Bedürftigen zu erreichen.

Krankheiten haben leichtes Spiel

Martine Villeneuve, Landesdirektorin für den dänischen Flüchtlingsrat in der DR Kongo, sagte: „Es gibt nicht genug sauberes Wasser, Lebensmittel oder Unterkünfte und Einrichtungen wie Toiletten, medizinische Versorgungszentren; saubere Wasserstellen sind hoffnungslos überlastet. Angesichts der großen Zahl von Menschen, die unter sehr beengten Verhältnissen lebt und drastisch mangelernährt ist, stellt sich die Situation als giftiger Cocktail dar, der einer raschen Ausbreitung von Krankheiten sehr förderlich ist.“ Da es nur sehr wenige Medikamente gibt, sind vermeidbare Krankheiten wie etwa Masern, Malaria, Polio und Atemwegsinfektionen weitverbreitet. In einem informellen Camp in Kasenyi, das Oxfam besuchte und in dem viele Vertriebene unter beengten Verhältnissen neben einer Kirche leben, waren drei Kinder am Vortag und acht weitere innerhalb des letzten Monats gestorben. Maureen Philippon, Landesdirektorin des NRC in der DR Kongo, sagte: „Diese neue Vertreibungswelle betrifft Menschen, die schon mehrfach vertrieben worden sind. Bei jeder Flucht mussten sie ihren gesamten Besitz und ihre Lebensgrundlagen zurücklassen, und das Gefühl der Entwurzelung sitzt tief. “

Unterricht für Kinder kann nicht mehr gewährleistet werden

Der Beginn des Schuljahres steht in der DR Kongo aktuell bevor, doch zahlreiche Schulen wurden niedergebrannt oder werden immer noch als Unterkünfte für Vertriebene genutzt. Viele Tausende kleine Kinder, die in ländliche Dörfer und Lager vertrieben wurden, sind nicht in der Lage oder haben nicht die Kraft, zur Schule zu gehen. Nicoló Carcano von der AVSI-Stiftung, die sich seit vielen Jahren für die Ausbildung in Ituri einsetzt, berichtete: „Die Bildungssituation ist kritisch. Es gibt nicht genug Schulen, und die wenigen, die noch stehen, sind überfüllt und in schlechtem Zustand. Einrichtungen wie sauberes Wasser und Toiletten fehlen, und der Schutz von Kindern gestaltet sich immer schwieriger.“

Der humanitäre Bedarf kann derzeit nicht gedeckt werden

In Ituri und anderen von Konflikten betroffenen Gebieten in der DR Kongo wird der größte Teil des humanitären Bedarfs nicht gedeckt, sodass viele Menschen an Krankheiten, Hunger oder Erschöpfung sterben. Aus der Krise im letzten Jahr wurden keine Lehren gezogen. Die Situation in Ituri stellt eine von mehreren humanitären Krisen in der DR Kongo dar, zu denen auch der Ausbruch von Ebola zählt, der vor drei Monaten zu einem internationalen Notstand erklärt wurde. „Der Aktionsplan für humanitäre Hilfe für 2019 ist derzeit nur zu 35% finanziert, was die Reaktionsfähigkeit der Hilfsorganisationen erheblich beeinträchtigt. Diese Krise, aufgrund derer seit Jahresanfang mehr als 360.000 Menschen vertrieben wurden, wird langfristig verheerende Auswirkungen auf die gesamte Region haben“, stellte Louis Dorvilier, Landesdirektor der Welthungerhilfe in Goma, klar. Benjamin Vienot, Landesdirektor von Aktion gegen den Hunger im Kongo sagte: „Hilfsorganisationen konnten nicht alle Menschen erreichen, die 2018 in Not waren. Die Sicherheitslage war schlecht und es fehlte an Geld. Jetzt sieht die Lage ähnlich düster aus.”

 

23. OKTOBER 2019
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