
Ignorieren wir Hunger, sind die sozialen und finanziellen Kosten dramatisch. Prävention dagegen ist effizienter als Krisen zu verschleppen.
Klimapolitik oder außenpolitische Themen wie humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit finden im Wahlkampf nicht wirklich Platz, auch im TV-Duell zwischen den Kanzlerkandidaten Olaf Scholz (SPD) und Friedrich Merz (CDU) wurden lediglich Donald Trumps Äußerungen zum Gazastreifen angesprochen, jedoch schnell und ohne inhaltliche Tiefe abgefrühstückt. Ein Narrativ, das aktuell stattdessen immer wieder, direkt oder indirekt, auftaucht: Nicht mehr so viel Geld für die anderen ausgeben, endlich die Probleme bei uns zu Hause anpacken. Germany first. Das ist gefährlich – und basiert außerdem auf der falschen Annahme, dass Deutschland davon profitieren würde, weniger Geld in die humanitäre Hilfe zu investieren.
Zum einen, weil globale Probleme nicht individuell betrachtet werden können. Zum anderen, weil es langfristig mehr kostet, nichts zu tun. Wirklich nachhaltig werden humanitäre Krisen durch Prävention bekämpft – und das ist letztlich sogar günstiger.
Diese Rechnung gilt auch für den Hunger weltweit: Jedes Jahr entstehen laut Cost of Inaction Tool 761 Milliarden US-Dollar an wirtschaftlichen Kosten aufgrund von langfristigen Verlusten bei den kognitiven Fähigkeiten und der Sterblichkeit von Kindern infolge von Mangelernährung und Hunger. Das entspricht einem Prozent des globalen Bruttonationaleinkommens (BNE). Zum Vergleich: Im Jahr 2023 beliefen sich die aufgewendeten Mittel für humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit – also nicht nur für die Hungerbekämpfung – der Mitgliedsländer des Development Assistance Committee der OECD auf 223,7 Milliarden US-Dollar.
Davor fallen bereits deutlich höhere Kosten an, denn Hunger entsteht schließlich nicht in einem Vakuum. Gewaltsame Konflikte und Extremwetterereignisse, wobei letztere durch die menschengemachte Klimakrise öfter und im stärkeren Ausmaß passieren, können dramatische Folgen für die Bevölkerung haben, was den Zugang zu ausreichender Nahrung betrifft. Das beginnt schon bei der Produktion: Wenn Felder unzugänglich oder Lagerhäuser zerstört werden, kann das die Versorgung ganzer Regionen betreffen und zu höheren Preisen führen.
Die Kosten der steigenden Konflikte sind unbezahlbar
Trotz der Verabschiedung der Resolution 2417 (2018) des UN-Sicherheitsrates, die den Zusammenhang zwischen gewaltsamen Konflikten und Hunger anerkennt und den Einsatz von letzterem als Kriegswaffe explizit verurteilt, ist die Zahl konfliktbedingter kritischer Ernährungslagen seither weiter gestiegen. Im Jahr 2023 wurde die höchste Zahl an gewaltsamen Konflikten seit 1945 verzeichnet. Die Auswirkungen derer sind laut Global Peace Index (GPI) auf 19,1 Billionen US-Dollar gestiegen. Das ist eine unvorstellbare Summe, und doch zahlen wir einen noch weitaus höheren Preis.
Weltweit sterben jedes Jahr 1,3 Millionen Kinder an den Folgen von unzureichender Ernährung – sie sind besonders anfällig für Mangelernährung und auch die Sterblichkeit ist bei ihnen sehr hoch. Dazu kommen 153.702 Menschen, die im Jahr 2023 in Bürgerkriegen, Kriegen und zivilen Konflikten getötet wurden.
Humanitäre Hilfe ist chronisch unterfinanziert
Es braucht eine entschiedene programmatische Antwort auf die Zusammenhänge von Hunger mit Armut, der Klimakrise und Konflikten, vor allem durch eine bessere Verzahnung von Instrumenten der humanitären Hilfe, Entwicklungszusammenarbeit und Friedensförderung.
Im vergangenen Jahr war die humanitäre Hilfe jedoch deutlich unterfinanziert, bis November 2024 wurden nur 43 Prozent der nötigen Mittel erreicht, wie das Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (OCHA) angibt. Für das Jahr 2025 sind demnach rund 47 Milliarden US-Dollar nötig, laut Welthungerhilfe im Bereich Nahrungsmittelhilfe und Ernährungssicherheit rund 16,9 Milliarden US-Dollar.
Die zögerliche Bereitschaft, entsprechende Maßnahmen ausreichend zu finanzieren, kommt uns teuer zu stehen: Wenn ab 2020 Maßnahmen ergriffen worden wären, um den Hunger in der Welt bis zum Jahr 2030 zu beenden, lägen die jährlichen Kosten dafür nach damaligen Schätzungen bei 30 Milliarden US-Dollar.
Da der Handlungszeitraum nach den bereits verstrichenen Jahren immer knapper wird, bräuchte es kurzfristige Maßnahmen, um das Ziel Zero Hunger bis 2030 noch zu erreichen. Damit würden sich die Kosten laut eines Papers des Zentrums für Entwicklungsforschung an der Uni Bonn auf jährlich 93 Milliarden US-Dollar erhöhen.
Die Klimakrise ist deutlich teurer als Klimapolitik
Ein weiteres Beispiel für aufgeschobene Kosten ist die Klimakrise mit ihren verheerenden Auswirkungen auf die Lebens- und Ernährungssituation der Menschen, vor allem im Globalen Süden. Schnell aufeinanderfolgende Extremwetter- und konfliktbezogene Ereignisse führen zu einem Teufelskreis von immer weiter sinkender Widerstandsfähigkeit der betroffenen Menschen, steigenden Preisen und wenigen Ernte- und Einkommensquellen.
Bis 2050 wird die Klimakrise laut eines Reports des Weltwirtschaftsforums weltweit bis zu 14,5 Millionen Todesfälle sowie schwere Krankheiten und hohen Kosten für das Gesundheitssystem verursachen. Ungesunde Ernährung, die zu Krankheitslast führt, plus externe Umweltkosten machen einer Studie der FAO zufolge rund 70 Prozent versteckter Kosten unseres Ernährungssystems aus.
Die direkten Schäden von Katastrophen wie zerstörte Gebäude und Infrastruktur und nicht zuletzt die gesundheitlichen Auswirkungen kommen uns teuer zu stehen – finanziell wie moralisch. Hinzu kommen indirekte Folgen wie gesamtwirtschaftlich Effekte oder der Verlust der Artenvielfalt. Eine aktuelle Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung schätzt die globalen Kosten auf einen Betrag in Billionenhöhe. In Afrika und Südostasien fallen sie demnach mit erwarteten Schäden in Höhe von bis zu 22 Prozent des jährlichen Pro-Kopf-Einkommens im Jahr 2049 am höchsten aus.
Werden die Treibhausgasemissionen nicht durch effektive Maßnahmen begrenzt, würden die wirtschaftlichen Kosten bis zum Jahr 2100 noch deutlich darüber hinausgehen. Dabei heißt es in der Studie auch, dass die Schäden bis 2049 bereits jetzt sechsmal höher als die Kosten zur Begrenzung der globalen Erwärmung sind.
Prävention ist günstiger und nachhaltiger
Unzureichende Finanzierungen und Maßnahmen im Bereich der humanitären Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit führen mittel- und langfristig zu höheren Kosten (Cost of Inaction). Langanhaltende Krisen werden so weiter verstetigt und neue befeuert. Die Schäden und damit die humanitären Bedarfe sind daher umso geringer, je mehr vorher in Resilienz, klimaangepasste Landwirtschaft und stabile Gesundheitsversorgung investiert wurde. Für jeden investierten US-Dollar in globale Nachhaltigkeit und Resilienz können laut eines Faktenchecks von ONE zwischen vier und sieben eingespart werden.
Die Prävention humanitärer Bedarfe ist politisch und menschlich von großer Relevanz – vorausschauende humanitäre Hilfe ist ein wichtiger Ansatz, um Leid abzumildern. Wenn absehbar ist, dass eine Krise bevorsteht, sind wir verpflichtet, frühzeitig zu handeln. Das entspricht dem Grundprinzip des humanitären Handelns. Denn es ist nicht nur finanziell sinnvoll, bevorstehenden Schaden abzuwenden oder zu verringern und Handlungsoptionen sowie die Resilienz der betroffenen Bevölkerung zu stärken – es ist auch menschenwürdig.
Die neue Bundesregierung muss frühzeitig handeln
Vorausschauende humanitäre Hilfe hat zwei Vorteile: Es werden ganz konkret Menschen vor dem Tod bewahrt und bereits erreichte Entwicklungserfolge langfristig gesichert – was auch vor dem Hintergrund schrumpfender Hilfsgelder effizienter ist. Das Volumen des BMZ-Haushalts betrug 2024 rund 11,22 Milliarden Euro. Das ist im Vergleich zu anderen Ressorts ein relativ geringer Betrag und angesichts der Summen, die uns das Nichthandeln kostet, noch ausbaufähig.
In einer Zeit zunehmend langanhaltender Krisen muss eine entschiedene Politik zudem mithilfe humanitärer Diplomatie zur Lösung von Konflikten und Konsolidierung von Frieden beitragen, denn humanitäre Krisen können nicht allein durch humanitäre Hilfe gelöst werden.
Die neue Bundesregierung sollte daher durch ihre Haushaltsgestaltung und ihre Außen- und Entwicklungspolitik langfristige und zuverlässige Signale senden, um einen relevanten Beitrag für eine Welt ohne Hunger zu leisten. Frühzeitiges und konsequentes Handeln spart nicht nur Geld – es ist vor allem menschlicher.