Links: eine Person mit Kapuze von hinten, rechts: ein leerer Einkaufswagen

Auch in Deutschland herrscht Ernährungsarmut

Globale Krisen und Konflikte betreffen uns alle. Die neue Bundesregierung muss für das Recht auf Nahrung weltweit und bei uns einstehen.

Ernährungsarmut ist nicht bloß ein weit entferntes Problem, auch direkt vor unserer Haustür können sich Menschen keine ausgewogene und ausreichende Ernährung leisten. Die Gründe dafür sind vielfältig, im Zentrum steht dabei aber die ungleiche Machtverteilung in unserem Ernährungssystem. Deshalb können wir den Kampf für die weltweite Umsetzung des Rechts auf Nahrung nur gemeinsam anpacken.

Die Verwirklichung dessen ist eine Grundvoraussetzung für menschliche Sicherheit, Demokratie, Wohlstandsentwicklung und gesellschaftliche Stabilität – auch in Deutschland. Hierzulande waren nach Angaben einer Eurostat-Umfrage mehr als 13 Prozent der Haushalte im Jahr 2023 nicht in der Lage, sich wenigstens alle zwei Tage mindestens eine vollwertige Mahlzeit zu leisten. Das gilt besonders stark für armutsgefährdete Haushalte: Ihre Zahl belief sich laut dem Ernährungsrat Berlin deutschlandweit auf fast 30 Prozent.

Besorgniserregend ist, dass gerade Kinder und Jugendliche von Armut und dementsprechend auch von Unter- und Mangelernährung betroffen sind: Mehr als 21 Prozent der unter 18-Jährigen in Deutschland waren laut statistischem Bundesamt im Jahr 2023 armutsgefährdet.  

Die ersten tausend Tage entscheiden über das ganze Leben eines Kindes

Die schlechte Ernährungssituation hat gerade für Kinder und Jugendliche schwerwiegende und langanhaltende Folgen in ihrer Entwicklung. Denn die ersten tausend Tage von der Schwangerschaft bis zur Vollendung des zweiten Lebensjahrs sind entscheidend: Die Anlagen aus dieser Zeit beeinflussen die Entwicklung im gesamten weiteren Leben. Das bedeutet: Auch die Ernährung der stillenden Person vor und während der Schwangerschaft spielt eine große Rolle, denn sonst wird auch das (ungeborene) Baby nicht vollständig versorgt.  

Kinder, die in jungen Jahren dauerhaft mangelernährt waren, haben oft schlechtere schulische Leistungen. Zudem ist die Gefahr der Kindersterblichkeit erhöht. Deswegen legen wir in unserer internationalen Projektarbeit einen besonderen Fokus auf Kinder, Jugendliche sowie schwangere und stillende Personen. 

Grafik über die Ernährung von Baby bzw. Kleinkind sowie stillendem Elternteil während der ersten tausend Tage

Global betrachtet stirbt alle 13 Sekunden ein Kind unter fünf Jahren an den Folgen von Hunger. Die Gründe dafür sind vielschichtig: Konflikte und Naturkatastrophen rufen Armut hervor, und wer unter Armut leidet, hungert häufiger. Ein wichtiger Faktor, der neben der Klimakrise und ihren Auswirkungen die Ernährungssituation auch in Deutschland entscheidend beeinflusst, ist die Machtkonzentration im Agrar- und Einzelhandelssektor.

 

Warum müssen selbst in Deutschland Menschen hungern?

In vielen Ländern können sich die Menschen nicht mal mehr Grundnahrungsmittel leisten. Im Jemen haben sich die Preise von Weizen und Zucker seit 2020 verdoppelt, im Libanon ist der Preis von Weizen sogar um das 160-fache gestiegen. „Das ist praktisch so, als wenn hierzulande ein Brot anstatt zwei auf einmal 320 Euro kosten würde“, sagt Jan Sebastian Friedrich-Rust, Geschäftsführer von Aktion gegen den Hunger.

Ganz so hoch sind die Lebensmittelpreise in Deutschland nicht, dennoch sind sie auch hier in den vergangenen vier Jahren durchschnittlich um mehr als 30 Prozent gestiegen. Im März 2023 sei laut der Verbraucherzentrale NRW ein Rekordwert von plus 22,3 Prozent erreicht worden, Lebensmittel waren demnach monatelang die Haupttreiber der Inflation. „Die Lebensmittelpreise wurden in manchen Fällen deutlich mehr erhöht, als es notwendig gewesen wäre, um gestiegene Produktionskosten zu kompensieren”, erzählt Silvia Monetti, Teamleiterin Lebensmittelpreise und Ernährungsarmut bei der Verbraucherzentrale NRW (VZ NRW), im Gespräch mit Aktion gegen den Hunger

Eine Grafik zeigt die Teuerung der Preise von Kartoffeln, Brot, Butter und Olivenöl in Deutschland von 2020-2024 an.

Die Preisbildung im Supermarktregal ist selbst für die Verbraucherzentralen so undurchsichtig, dass sie die Preise nicht mehr nachvollziehen können. Es ist unstrittig, dass manche Unternehmen von der Krise infolge des Krieges in der Ukraine massiv profitiert haben. Und das ist vor allem deshalb möglich, weil einige wenige Konzerne den gesamten Weltmarkt kontrollieren und ihre Profitinteressen in Deutschland aber auch weltweit vor das Gemeinwohl stellen.

 

Die Preisgestaltung darf nicht zulasten der bäuerlichen Kleinbetriebe gehen

Schnell liegt die Schlussfolgerung nahe, dass man nun niedrigere Preise für Lebensmittel fordern müsste. Ganz so einfach ist das aber nicht. Denn: Viele landwirtschaftliche Betriebe, ganz besonders kleine Höfe, leiden bereits jetzt unter niedrigen Preisen für ihre Produkte. Es sind nicht sie, die von den teuren Lebensmittelkosten profitieren.  

Nach Angaben der Deutschen Umwelthilfe lag der Anteil der Landwirtschaft an der Wertschöpfung der Lebensmittelkette im Jahr 2021 bei 14 Prozent gegenüber 45,5 Prozent des Nahrungsmittelhandels. Seit 2015 konzentriert sich die Marktmacht im Lebensmitteleinzelhandel auf vier Unternehmen: Allein Edeka, Rewe, Lidl und Aldi verfügen über 85 Prozent des Marktanteils, wie das Bundeskartellamt angibt.

In einer Welt voller Krisen brauchen wir Solidarität statt Spaltung

Einfach nur die Preise senken ist also nicht der richtige Weg. Es geht nicht darum, Menschen im Globalen Süden gegen Menschen in Deutschland auszuspielen, und auch nicht Erzeuger*innen gegen Verbraucher*innen, denn es gibt für diese Probleme gemeinsame Ursachen wie die Preisbildung, Übergewinne, aber auch eine drohende Knappheit durch die Klimakrise. Diese Probleme können dementsprechend nur gemeinsam angegangen werden. 

Die Verbraucherzentrale schlägt für mehr Transparenz in der Lebensmittelpreisbildung eine Beobachtungsstelle vor. Das ist wichtig, um zu verstehen, wie die Preise zustande kommen und gegebenenfalls einschreiten zu können. Auch das Bürgergeld müsse neu berechnet werden, damit sich von Armut gefährdete Menschen auch gesunde Nahrung leisten können.

 

Lösungsansätze gegen Ernährungsarmut

Als Teil des Bündnisses „Wir haben es satt” fordert Aktion gegen den Hunger zudem ein Spekulationsverbot für Nahrungsmittel. Das würde sowohl in Deutschland als auch global gegen Ernährungsarmut helfen. Denn auch in der weltweiten Agrarindustrie wird der Markt von einigen wenigen Firmen dominiert. Sie können Produkte, Preise und die Qualität der Produkte diktieren und haben teilweise einzigartiges Wissen über die Rohstoffbestände in ihrer Kontrolle. Das treibt die Spekulationen an den Märkten an und lässt die Preise steigen.

Im aktuellen Wahlkampf wird die Hungerbekämpfung bislang parteiübergreifend kaum zum Thema gemacht. Dabei geht sie uns alle an. Weil alle Menschen ein Recht auf gesunde und ausgewogene Nahrung haben, während Ernährungsarmut kein alleiniges Problem des Globalen Südens ist.

Für eine Welt ohne Hunger muss die neue Bundesregierung die gemeinsamen Ursachen in Deutschland und weltweit angehen. Das heißt: Endlich das Gemeinwohl vor Konzerninteressen stellen! Wir brauchen eine ökologisch nachhaltige und sozial gerechte Transformation des Ernährungssystems, damit unser aller Recht auf Nahrung umgesetzt wird – eine Anstrengung, die nur miteinander gelöst werden kann. 

3. FEBRUAR 2025
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