Globale Krisen bestimmen auch in Deutschland die gesellschaftlichen Diskurse. Zeit, mehr politisches Handeln gegen den Hunger zu fordern
Wir leben in einer Welt, die gemeinsam vor großen Herausforderungen steht. Es ist gut, dass auch in deutschen Wohnzimmern verstärkt über globale Krisen diskutiert wird. Diesen Moment wollen wir nutzen und zu mehr politischem Handeln gegen den Hunger aufrufen – denn Nahrung ist ein Menschenrecht!
Und die Zeit drängt: Es bleiben nur noch sechs Jahre, um die Agenda 2030 zu erreichen. Bis dahin hat sich die Weltgemeinschaft mit den nachhaltigen Entwicklungszielen (SDGs) vorgenommen, die extreme Armut und den Hunger in der Welt zu beenden. Auch Deutschland als zweitgrößter bilateraler Geber für humanitärer Hilfe sowie Entwicklungszusammenarbeit hat sich verpflichtet, diese Ziele umzusetzen. Die geplanten enormen Haushaltskürzungen in diesen Bereichen stellen die Realisierung des Rechts auf Nahrung allerdings infrage und kosten im Zweifel Menschenleben.
Aktuelle Zahlen unterstreichen die Dringlichkeit eines stärkeren politischen Handelns: Vergangenes Jahr litten 733 Millionen Menschen weltweit an Hunger. Das ist jede elfte Person; in Afrika hungert sogar jede*r Fünfte. Auch der Zugang zu gesunder Ernährung ist im dritten Jahr in Folge unverändert: 2,8 Milliarden Menschen haben keinen Zugang zu angemessener Ernährung.
Damit die Beendigung der Hungerkrisen und die sechs globalen Ernährungsziele bis 2030 realisiert werden, braucht es mehr Finanzierung, Koordination und Transparenz. Unsere Forderungen an deutsche Entscheidungsträger*innen fokussieren sich auf die größten Treiber von Hunger und Mangelernährung: bewaffnete Konflikte, Klimawandelfolgen und soziale Ungleichheiten.
Unsere Forderungen
Vergangenes Jahr waren bewaffnete Konflikte erneut der größte Treiber von Hungerkrisen. Trotz der Verabschiedung der Resolution 2417 (2018) des UN-Sicherheitsrats, die diesen Zusammenhang anerkennt und den Einsatz von Hunger als Kriegswaffe explizit verurteilt, ist konfliktbedingte Nahrungsunsicherheit weiter gestiegen. So kann ein Teufelskreis entstehen: Hunger facht gewaltsame Auseinandersetzungen an, die wiederum die Nahrungsunsicherheit verstärken. Im Gegensatz dazu können resiliente Ernährungssysteme zur Sicherung von Frieden und sozialem Miteinander beitragen.
Humanitäre Diplomatie kann helfen, um den Schutz unseres Personals und des humanitären Zugangs zu betroffenen Bevölkerungsgruppen zu stärken. Ohne diesen Schutz können humanitäre Akteure nicht helfen. Aber auch ein Beitrag zur Lösung von Konflikten und Festigung von Frieden ist relevant. Das deutsche außenpolitische Engagement als bedeutender Geber hat der Bundesregierung Gewicht und Glaubwürdigkeit in der Welt verschafft. Dieses internationale Ansehen Deutschlands muss genutzt werden, um die Umsetzung der Resolution 2417 ebenso wie die Einhaltung des humanitären Völkerrechts zu fördern und einzufordern.
Sogenannte Sanktionsregime – in Form von Wirtschafts- und Handelsembargos, restriktiven Maßnahmen oder Gesetzen gegen Individuen – sowie Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus werden etwa von den UN und der Europäischen Union genutzt. Ziel ist es, Druck auf Regierungen auszuüben. Allerdings haben diese Maßnahmen oft einen Nebeneffekt: Sie behindern die Ausübung humanitärer Arbeit. Deshalb wurde im Zuge der UN-Sicherheitsratsresolution 2664 (2022) eine allgemeine Ausnahmeregelung für alle UN-Sanktionsregime eingeführt, die humanitäre Hilfsmaßnahmen in sanktionierten Ländern ermöglichen soll. Sie ist jedoch nicht auf Sanktionen anwendbar, die von der EU beschlossen wurden. Diese setzt immer noch keine allgemeine Ausnahmeregelung ein, sondern oft auf temporäre, spezifische Ausnahmen für humanitäre Hilfe – was eine sichere Planung der Hilfen erschwert.
Zudem bestehen große Unsicherheiten über die Regelungen auf Seiten von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Finanzinstitutionen. Um beispielsweise Lebensmittel in den Einsatzländern kaufen oder Mitarbeiter*innen vor Ort bezahlen zu können, müssen Gelder an dortige Banken überwiesen werden. Unklare rechtliche Regelungen können Finanzinstitute abschrecken, solche Überweisungen durchzuführen, obwohl diese für humanitäre Zwecke erlaubt wären. Das kann unsere lebensrettende Arbeit stark beeinträchtigen.
Deshalb ist es wichtig, dass die Bundesregierung sich für eine konsequente Umsetzung der Ausnahmeregelungen in der EU einsetzt und aktiv an nationalen und internationalen Austauschformaten mit NGOs und Finanzinstituten teilnimmt.
Auf lokaler Ebene sind die kausalen Verflechtungen zwischen Klimafolgen, Vertreibung und Ressourcenkonflikten oft komplex – die Folge ist aber immer Ernährungsunsicherheit. Schnell aufeinanderfolgende Extremwetter- und konfliktbezogene Ereignisse führen zu einem Teufelskreis von immer weiter sinkender Resilienz der betroffenen Menschen, steigenden Preisen und wenigen Einkommensquellen. Vorausschauende Anpassungen an veränderte klimatische Bedingungen, beispielsweise in der Nahrungsmittelproduktion, ist unter diesen Bedingungen nicht möglich.
Konflikte und Klimakrise als Ursachen müssen gemeinsam angegangen werden. Klimaschutz und -anpassung benötigen eine angemessene, zusätzliche Finanzierung. Zudem müssen Gelder für den Ausgleich von Schäden und Verlusten bereitgestellt werden. Hilfreich ist aber auch diplomatisches Engagement: Ein direkter und vereinfachter Zugang zu multilateraler Klimafinanzierung durch betroffene Gemeinschaften und lokale zivilgesellschaftliche Organisationen insbesondere in fragilen Kontexten hilft, die Resilienz gegenüber zukünftigen Schocks zu stärken. Bei Anpassungsmaßnahmen und Transformationsprozessen in Landwirtschafts- und Ernährungssystemen sollten deshalb soziale Gerechtigkeit und das Recht auf Nahrung zentrale Kriterien darstellen.
Eine Erhöhung der Gelder des Bundeshaushalts im Klimabereich darf nicht zulasten anderer Finanzierungsströme wie der lebensrettenden humanitären Hilfe gehen.
Neben dem klimapolitischen Einsatz braucht es eine dezidierte programmatische Antwort auf die Zusammenhänge von Klimakrise und Konflikten, vor allem durch eine bessere Verzahnung von Instrumenten der humanitären Hilfe, Entwicklungszusammenarbeit und Friedensförderung.
Auch die Prävention humanitärer Bedarfe ist politisch und menschlich von großer Relevanz – vorausschauende humanitäre Hilfe ist ein wichtiger Ansatz, um Leid abzumildern. Wenn absehbar ist, dass eine Krise bevorsteht, sind wir verpflichtet, frühzeitig zu handeln. Dies entspricht dem Grundprinzip des humanitären Handelns. Denn es ist nicht nur finanziell sinnvoll, bevorstehenden Schaden abzuwenden oder zu verringern und Handlungsoptionen sowie die Resilienz der betroffenen Bevölkerung zu stärken – es ist auch menschenwürdig.
Chronische Mangelernährung und akute Mangelernährung betreffen immer noch knapp 200 Millionen Kinder weltweit. Deutschland sollte sich weiterhin dafür einsetzen, dass Prävention, Diagnose und Behandlung als Teil der medizinischen Grundversorgung durch geschultes Personal umgesetzt werden – auch in Konflikt- und Krisensituationen. Der Zugang zu sauberem Trinkwasser sowie Sanitäranlagen ist eine Grundvoraussetzung für die erfolgreiche Vorbeugung einer Mangelernährung, die oft im Zusammenhang mit Infektionskrankheiten auftritt. Es braucht also einen multisektoralen Ansatz, der in eine grundlegende Stärkung von universellen sozialen Sicherungssystemen eingebettet ist.
Auch ungesunde Ernährung und fehlende Nahrungsvielfalt sind ein wachsendes Problem und führen unter anderem zu Mikronährstoffmangel und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Fast drei Milliarden Menschen können sich keine gesunde Ernährung leisten – dabei ist das Kernbestandteil des Rechts auf Nahrung und die Grundlage für ein gesundes Leben.
Die Rechte von Arbeiter*innen in der Lebensmittelproduktion und Kleinbäuer*innen auf Land, Saatgut und Wasser müssen gestärkt werden, um den lokalen Anbau von gesunden und vielfältigen Nahrungsmitteln zu fördern. Denn so können sich Regionen unabhängiger von Lebensmittelimporten machen.
Durch internationale Zusammenarbeit sollte Deutschland weiterhin zu einer ökologisch nachhaltigen und sozial gerechten Transformation der Ernährungssysteme beitragen, in der die Stimmen der Betroffenen zentral sind – beispielsweise durch die Förderung von agrarökologischen Ansätzen und der Umsetzung der Freiwilligen Leitlinien zum Recht auf Nahrung.
Im Jahr 2024 ist Hunger nicht mehr ein Symptom von fehlender Verfügbarkeit und Produktion von Nahrungsmitteln, sondern ein politisches Verteilungsproblem. Weltweit werden mehr als genug Kalorien produziert – trotzdem sind insbesondere Frauen, Kinder, Arme und andere marginalisierte Gruppen überproportional von Hunger und Mangelernährung betroffen.
Dabei ist der Zugang zu angemessener Nahrung ein Menschenrecht. Die Weltgemeinschaft, und somit auch Deutschland, stehen völkerrechtlich in der Pflicht, die notwendigen Rahmenbedingungen dafür zu schaffen. Als großer Industrie- und ehemaliger Kolonialstaat kommt der Bundesregierung zudem eine erhebliche historische Verantwortung zu, um in der Vergangenheit verursachte und geprägte Ungleichheiten abzubauen.
Alle Empfehlungen sind in unserem Papier weiter ausgeführt: "Wir fordern von der Politik mehr Aktion gegen den Hunger weltweit – Es ist Ihre Wahl, das Recht auf Nahrung zu verteidigen".