Nachhaltigkeit, Verantwortung und Zusammenarbeit
Die deutsche Politik hat auf internationale Ernährungssysteme und -prozesse in mehreren Dimensionen Einfluss: durch Entwicklungszusammenarbeit, Handelsabkommen, Klima- und Agrarpolitik sowie durch die Zusammenarbeit in multilateralen Organisationen wie den Vereinten Nationen und der EU. Durch seine strategischen Entscheidungen in der Agrar-, Klima- und Entwicklungspolitik beeinflusst Deutschland direkt internationale Ernährungssysteme und setzt sich für gerechte und nachhaltige Lösungen ein.
Dieser Artikel beleuchtet die zentralen Wirkfelder der deutschen Politik auf globale Ernährungssysteme und zeigt auf, warum die deutsche Politik mehr internationale Verantwortung übernehmen sollte.
Politische Arbeitsfelder mit Einfluss auf internationale Ernährungssicherheit
Entwicklungszusammenarbeit und Ernährungssicherung
Deutschland verwaltet mit mehreren Milliarden Euro jährlich eines der größten Budgets für internationale Hungerbekämpfung und Entwicklungszusammenarbeit. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) fördert damit unter anderem Initiativen zur Verbesserung der globalen Ernährungssicherung, darunter beispielsweise das „Global Agriculture and Food Security Program (GAFSP)“, die Sonderinitiative „Transformation der Agrar- und Ernährungssysteme“ und die Forschung des International Food Policy Research Institute (IFPRI). Die Umsetzung der Programme erfolgt vor allem durch die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW).
Was bedeutet Ernährungssicherheit?
Ernährungssicherheit (Nutrition Security) ist dann gegeben, wenn ein Mensch jederzeit Nahrungsmittel in ausreichender Menge und Qualität konsumieren kann (bezogen auf Vielseitigkeit, Nährstoffgehalt und Nahrungsmittelsicherheit), die ihren Bedarfen und Vorlieben für ein aktives und gesundes Leben entsprechen. Gemäß der Definition des Committees für World Food Security passiert das in einem Umfeld, das angemessene Hygiene, Gesundheit, Bildung und Fürsorge bietet.
Diese Gelder und Programme bieten Deutschland einen entscheidenden Hebel, um eine gerechte und nachhaltige Transformation der globalen Ernährungssysteme voranzutreiben. Sie könnten dazu beitragen, agrarökologische Ansätze zu fördern, das Recht auf Nahrung durchzusetzen und Kleinbäuerinnen als zentrale Akteurinnen zu stärken. Doch statt sich auf strukturelle Veränderungen zu konzentrieren, liegt der Fokus weiterhin zu oft auf kurzfristigen Produktivitätssteigerungen und der Integration in globale Märkte.
Damit Deutschland seiner Verantwortung gerecht wird, müssen diese Mittel strategischer und konsequenter genutzt werden. Die Förderung von Kleinbäuer*innen und nachhaltigen Ansätzen darf nicht nur ein Lippenbekenntnis bleiben, sondern muss messbare Verbesserungen für die Betroffenen vor Ort erzielen. Eine stärkere Ausrichtung auf gerechte und klimaschonende Ernährungssysteme ist dringend erforderlich, um die globale Ernährungssicherheit langfristig zu sichern.
Was sind Ernährungssysteme?
Ein Ernährungssystem umfasst alle Prozesse und Akteure, die an der Produktion, Verarbeitung, Verteilung, Konsum und Entsorgung von Lebensmitteln beteiligt sind. Es schließt biophysische, wirtschaftliche und soziale Aspekte ein und beeinflusst sowohl die Ernährungssicherheit als auch Umwelt und Gesellschaft. Ernährungssysteme sind zentral für die Frage, wie nachhaltig, gerecht und resilient Nahrung bereitgestellt werden kann.
Deutscher Einfluss auf internationale Märkte: Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU
Als eines der wirtschaftsstärksten Länder der EU hat Deutschland erheblichen Einfluss auf die gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU, die den landwirtschaftlichen Markt innerhalb der EU reguliert und gleichzeitig Auswirkungen auf den Weltmarkt hat.
Ein Beispiel dafür sind die Subventionen, die durch die GAP an europäische Bäuerinnen und Bauern gezahlt werden. Diese beeinflussen die Marktpreise für Rohstoffe und Güter, was häufig als Wettbewerbsnachteil für Produzent*innen in Ländern des globalen Südens gesehen wird. Die Subventionierung von Agrarexporten in den Globalen Süden kann zudem zu einer Schwächung lokaler Märkte und dem Aufbau einer nachhaltigen, lokalen Landwirtschaft führen. Studien der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) zeigen, dass solche Praktiken langfristig die Ernährungssicherheit im Globalen Süden gefährden können.
Deutschland hat großen Einfluss auf die Gestaltung dieser Politik, insbesondere in Bezug auf die nationale Umsetzung und Anpassungen der GAP:
- Strategieplan und nationale Anpassung: Jedes EU-Mitgliedland muss einen GAP-Strategieplan erstellen, der die nationalen Ziele und Maßnahmen festlegt. Deutschland ist in diesem Prozess aktiv und beeinflusst durch seine Prioritäten und Anforderungen die gesamte Ausrichtung der GAP in der EU. Der deutsche GAP-Strategieplan wird von der Bundesregierung auf Grundlage von Dialogen mit verschiedenen Interessengruppen und der europäischen Vorgabe entwickelt.
- Zielsetzung und Nachhaltigkeit: Deutschland setzt sich innerhalb der EU für Nachhaltigkeit und ökologische Anforderungen in der Landwirtschaft ein. So wurden in der GAP 2023-2027 Umweltauflagen eingeführt, die Landwirt*innen zu umweltfreundlichen Praktiken motivieren sollen. Deutschland setzt dabei auf Maßnahmen, die Biodiversität fördern und den ökologischen Landbau unterstützen – schöpft seine Möglichkeiten dabei jedoch nicht aus.
- Verteilung von Fördermitteln: Deutschland hat großen Einfluss auf die Zuweisung von Fördermitteln, vor allem im Hinblick auf Direktzahlungen an Landwirt*innen. Hier legt Deutschland spezifische Kriterien fest, die auch die Umsetzung von EU-Vorgaben beeinflussen.
- Umsetzung von Umwelt- und Klimazielen: Ein weiterer Einflussfaktor ist Deutschlands eigener Fokus auf Umweltzielen. Werden in Deutschland Maßnahmen wie der ökologische Landbau und der Aufbau von Biodiversität gefördert, beeinflusst das auch die Ausrichtung der GAP.
Deutschland setzte sich innerhalb der GAP durchaus für Nachhaltigkeit ein. In einigen Bereichen widerspricht jedoch die Praxis den formulierten ökologischen Zielen, wie beispielsweise bei der Aussetzung von Öko-Richtlinien in Deutschland im Jahr 2023, dem zweifelhaften Export hochgiftiger Pestizide in den Globalen Süden oder der nach wie vor starken Bindung von Agrarsubventionen an Fläche, statt Anbaumethoden.
Deutschland könnte durch eine stärkere und konsequentere Fokussierung auf agrarökologische Ansätze, eine gerechtere Verteilung der Fördermittel und konsequentere Klimaschutzmaßnahmen einen viel wirksameren Beitrag zu sozial und ökologisch gerechten Ernährungssystemen und einer nachhaltigen EU-Politik leisten.
Klimapolitik und Landwirtschaft: Deutschlands Beitrag zum Pariser Klimaabkommen
Die globale Landwirtschaft trägt erheblich zu den Treibhausgasemissionen bei, weshalb Klimapolitik und Ernährungssicherheit eng miteinander verknüpft sind. Die Art und Weise, wie unsere Lebensmittel angebaut, verarbeitet, gehandelt und konsumiert werden, ist weltweit für etwa ein Drittel aller Treibhausgasemissionen verantwortlich. Gleichzeitig hat die Klimakrise massive Auswirkungen auf die Erzeugung von Lebensmitteln – von Ernteausfällen durch Dürren oder Überschwemmungen über die Zunahme von Schädlingen und Pflanzenkrankheiten bis hin zu einer veränderten Nährstoffzusammensetzung durch klimatische Veränderungen.
Neben den nationalen Klimazielen beeinflusst Deutschland auch über seine internationale Klimapolitik die Fähigkeit von Menschen weltweit, sich auch in Zukunft mit ausreichend guter Nahrung versorgen zu können. Deutschland muss sich daher konsequent sowohl in- als auch ausländisch für eine Klimapolitik einsetzen, die mit dem 1,5 ° Grad Ziel des Pariser Klimaabkommens vereinbar ist. Dazu gehört auch, dass die historischen Verursacherstaaten die bereits am stärksten vom Klimawandel betroffenen Länder bei der Anpassung an den von ihnen verursachten Klimawandel unterstützen.
Diese und weitere Forderungen lassen sich in unserem Forderungskatalog zum 29. Weltklimagipfel nachlesen.
Das Lieferkettengesetz: Förderung nachhaltiger Wertschöpfungsketten und Menschenrechte
Seit Januar 2023 gilt in Deutschland das „Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten“ (LkSG). Dieses Lieferkettengesetz legt deutschen Unternehmen Pflichten auf, menschenrechtliche und umweltbezogene Standards entlang ihrer Lieferketten zu achten. Das heißt, dass beispielsweise Textilunternehmen sicherstellen müssen, dass Umwelt- und Sozialstandards entlang der Produktion und Verarbeitung eingehalten werden. Ziel ist es, menschenwürdige Arbeitsbedingungen zu sichern und umweltschädliche Praktiken in den Herkunftsländern zu verhindern.
Dies hat zur Folge, dass internationale Wertschöpfungsketten transparent und fair gestaltet werden müssen, was wiederum die Produktionsbedingungen in Ländern des globalen Südens positiv beeinflussen kann. Allerdings gilt es nur für große Unternehmen und umfasst vor allem direkte Lieferanten. Das im Sommer 2024 erlassene EU-Lieferkettengesetz könnte diese Lücken füllen, da es auch kleinere Unternehmen und indirekte Lieferketten erfasst und eine zivilrechtliche Haftung vorsieht. Innerhalb der nächsten zwei Jahre müssen nun die europäischen Mitgliedsstaaten – also auch Deutschland – die europäische Richtlinie in nationales Recht übersetzen.
Seit dem Bruch der Ampel ist es unklar, wie es mit dem deutschen Lieferkettengesetz weitergeht, da sich etliche Politiker*innen für eine Aufhebung der Richtlinie einsetzen. Eine Studie des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE) zeigt jedoch eindeutig, dass das Lieferkettengesetz insbesondere in Ländern mit schwachen Governance-Strukturen als Hebel wirken kann, um Arbeits- und Umweltstandards zu stärken. Deutschland könnte zudem durch die Unterstützung einer stärkeren internationalen Vernetzung von Standards, etwa im Rahmen des UN-Leitprinzips für Wirtschaft und Menschenrechte, die Wirkung solcher Gesetze vervielfachen.
Wir fordern daher, dass Deutschland Menschenrechte vor vermeintliche Unternehmensinteressen stellt und das europäische Lieferkettengesetz rasch und lückenlos in deutsches Recht überführt – ohne Rechenschaftspflichten in Übergangszeiten auszusetzen.
Multilaterale Zusammenarbeit: Deutschlands Engagement in der FAO und dem WFP
In Organisationen wie der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) oder dem Welternährungsprogramm (WFP) bemüht sich Deutschland aktiv mit darum, globale Standards zur Ernährungssicherheit und nachhaltigen Landwirtschaft zu setzen. Durch seine Beiträge an das WFP unterstützt Deutschland Projekte zur Bekämpfung von Hunger und Mangelernährung und fördert Programme, die den Zugang zu Nahrungsmitteln in Krisenregionen sichern. 2023 stellte Deutschland beispielsweise dem WFP über zwei Milliarden Euro bereit, womit es zu den größten Gebern weltweit zählt.
Zudem leistet Deutschland finanzielle Unterstützung für die FAO, um nachhaltige Agrarpraktiken zu fördern und Kleinbäuerinnen und -bauern weltweit zu stärken. Auch innerhalb seiner Mitgliedschaft in der G20 und der G7 bringt Deutschland die Themen Ernährungssicherheit, Klimawandel und nachhaltige Landwirtschaft auf der globalen Agenda voran.
Gleichzeitig ist Deutschland in seiner Politik oft inkohärent und bemisst auf der einen Seite Agrarökologie einen wichtigen Stellenwert für die zukunftsfähige Landwirtschaft bei, während es gleichzeitig Technologien fördert, die den Status Quo der industriellen Landwirtschaft zum Ziel haben. Wir fordern: Agrarökologie und menschenrechtsbasierte Politik müssen der Leitfaden des deutschen Engagements werden – in der Rhetorik ebenso wie im Handeln.
Durch eine Kombination aus Entwicklungszusammenarbeit, Handelspolitik, Klimaschutz und sozialer Verantwortung gestaltet Deutschland die internationalen Ernährungssysteme maßgeblich mit.
Um jedoch langfristig erfolgreich zu sein, muss Deutschland stärker auf die Förderung agrarökologischer Systeme setzen, wie sie von wissenschaftlichen Analysen als integrative Lösung für Klimaschutz, Biodiversität und Ernährungssicherheit empfohlen werden. Der Einsatz für faire Handelsbedingungen, der Abbau von Exportsubventionen und die Stärkung lokaler Produktionssysteme in Entwicklungsländern sind dabei essenziell.
Deutschland hat eine wichtige Chance, die globale Ernährungssicherheit und den Klimaschutz maßgeblich voranzubringen – doch damit das Potenzial tatsächlich genutzt wird, braucht es mehr Druck aus der Gesellschaft. Die deutsche Politik kann entscheidende Standards für nachhaltige und resiliente Agrarsysteme setzen, die weltweit Wirkung zeigen. Damit dies jedoch nicht bei Ankündigungen bleibt, ist aktives Engagement gefragt. Unterstützen Sie uns jetzt bei unserer Forderung nach einer Politik, die das Recht auf Nahrung konsequent für alle Menschen verteidigt. Gemeinsam können wir die Politik dazu bewegen, ihre Handlungsmöglichkeiten voll auszuschöpfen.