Bis vor Kurzem stritt die Ampel noch über die EU-Richtlinie, jetzt ist die Koalition zerbrochen. Steht das deutsche Lieferkettengesetz vor dem Aus?
Seit 2023 gilt in Deutschland das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG). Damit sollen Unternehmen in Deutschland gezwungen werden, nicht mit Lieferanten zu handeln, die beispielsweise Zwangs- oder Kinderarbeit dulden. Eigentlich. Denn haftbar für das Verhalten Dritter in der Lieferkette sind sie nach deutschem Recht nicht. Anders ist das auf EU-Ebene geregelt: Die Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) oder kurz EU-Richtlinie, oft auch EU-Lieferkettengesetz genannt, die im Mai dieses Jahres beschlossen wurde, lässt eine Haftbarkeit auch in der sogenannten nachgelagerten Kette zu. Zwei Jahre haben die Mitgliedsstaaten nun Zeit, die europäische Richtlinie umzusetzen beziehungsweise an geltende nationale Gesetze anzupassen.
Und genau das ist der Knackpunkt: SPD, Grüne und FDP waren sich bislang uneinig, wie das am besten geschehen soll. Zwei Wochen nach Beschluss der EU-Richtlinie erwog Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck im Juni 2024 bereits eine Aussetzung des deutschen Lieferkettengesetzes, was sogleich von SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich abgelehnt wurde. Im Oktober 2024 sorgte Bundeskanzler Olaf Scholz mit seiner Aussage zum Lieferkettengesetz "Das kommt weg. Dieses Jahr noch" für Verwirrung. Wenig später rollte die FDP das Thema im Zuge ihrer Pläne für eine Wirtschaftswende wieder auf und forderte vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, Habecks Erwägungen umzusetzen – das Ministerium wiederum distanzierte sich sogleich von den früheren Aussagen seines Ministers.
FDP, äh, Deutschland versus Europa
Dass die Anpassung des deutschen Gesetzes an die EU-Richtlinie möglichst glatt läuft, dafür hat sich vor allem die FDP eingesetzt. Oder besser gesagt: Sie hat dafür Sorge getragen, dass sich die EU-Richtlinie an das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz anpasst. Alle Segel auf stur gestellt, soll FDP-Parteichef Christian Lindner laut Zeit Online sogar andere EU-Staaten persönlich davon überzeugt haben, gegen die Richtlinie zu stimmen – teils im Versprechen von Gegenleistungen.
Und so sah sich die EU-Kommission und -Ratspräsidentschaft gezwungen, Deutschland Kompromisse vorzuschlagen. Zeit Online zufolge soll ein maßangefertigtes Angebot vorgelegt worden sein, das der FDP in so gut wie allen Punkten nachgegeben habe. Und die FDP? Die zeigte sich unbeeindruckt und beharrte auf einen Neustart der Verhandlungen nach der Europawahl, wie das Bundesjustizministerium Zeit Online mitteilte. Also enthielt sich Deutschland auf Drängen der FDP dann auch bei der Abstimmung im EU-Parlament.
So ganz konnten Christian Linder, Marco Buschmann und Co. sich innerhalb der EU dann doch nicht durchsetzen, denn immerhin: Auch ohne die Zustimmung Deutschlands konnte die Richtlinie im Mai 2024 letztlich beschlossen werden. Zwar trägt sie Spuren der deutschen Blockadehaltung – so gilt sie nun tatsächlich erst für Unternehmen ab 1.000 Beschäftigten mit einem globalen Umsatz von 450 Millionen Euro und auch die Möglichkeit einer zivilrechtlichen Haftung wurde abgeschwächt. In einigen wesentlichen Punkten bleibt die EU-Richtlinie jedoch strenger und somit besser für Umwelt und Menschheit.
Was die EU-Lieferkettenrichtlinie vom deutschen Gesetz unterscheidet
1. Haftungsklausel für Verstöße gegen EU-Richtlinie
Unternehmen werden mit der europäischen CSDDD verpflichtet, menschenrechtliche und umweltbezogene Risiken in ihrer Lieferkette zu identifizieren und aktiv zu minimieren. Sie haften für Schäden, die durch Verstöße gegen diese Pflichten entstehen. Diese Regelungen gehen weiter als das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG), indem sie auch Risiken in der vorgelagerten Lieferkette einbeziehen. Unternehmen sind zudem verpflichtet, nachteilige Auswirkungen, die sie selbst oder mit anderen verursacht haben, wiedergutzumachen.
2. Klimaschutz und Menschenrechte
Die EU-Richtlinie verpflichtet Unternehmen, einen Klimaplan zu erstellen, der mit den Zielen des Pariser Abkommens in Einklang steht, was das LkSG nicht beinhaltet. Die CSDDD erfasst zudem wesentlich mehr Menschenrechte als das Lieferkettengesetz, darunter etwa das Recht auf Leben, Persönlichkeitsrechte und die Gedankenfreiheit (Freiheitsrechte).
Die Klimakrise verstärkt globale Ungerechtigkeiten: Schon heute rauben die Folgen des Klimawandels Menschen im Globalen Süden ihre Lebensgrundlage. Die Industrie ist ein Hauptverursacher für Treibhausgase und muss seiner Verantwortung gerecht werden.
3. Stärkere Einbindung der Zivilgesellschaft und Schadensersatz
Die EU-Richtlinie stärkt die Rolle von NGOs, Gewerkschaften und anderer Interessensgruppen. Diese müssen aktiv in die Sorgfaltsprüfungen und die Umsetzung von Maßnahmen einbezogen werden, was beim LkSG nicht in gleichem Maße der Fall ist. Betroffene können Unternehmen auch vor Zivilgerichten auf Schadensersatz verklagen, was das Lieferkettengesetz nicht vorsieht. Die CSDDD erleichtert zudem den Zugang zu relevanten Dokumenten und ermöglicht es NGOs, Rechte im Namen von Betroffenen durchzusetzen.
Der Bruch der Ampel könnte das Aus für das deutsche Lieferkettengesetz sein
An der Umsetzung der CSDDD arbeitet bislang maßgeblich das Arbeitsministerium. Laut Bundesminister Hubertus Heil soll das deutsche Gesetz von der europäischen Richtlinie abgelöst werden. Wie das genau aussieht, lässt er allerdings offen. Was der Bruch der Ampelkoalition und die Entlassung Christian Lindners sowie die Rücktritte der FDP-Bundesminister*innen für die Umsetzung bedeuten, ist unklar. Zuletzt hatte die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag das sofortige Aus für das deutsche Gesetz gefordert und einen entsprechenden Gesetzentwurf formuliert.
Doch Fakt ist: Als Mitglied der Europäischen Union ist Deutschland in der Pflicht, die EU-Direktive umzusetzen – auch wenn wirtschaftsnahe Politiker*innen das Gesetz abwenden wollen. Dabei ist die europäische Richtlinie teilweise sogar weniger streng als Menschenrechts- und Umweltorganisationen sich gewünscht hatten. So gelten die Sorgfaltspflichten der Unternehmen etwa nicht für die Verwendung ihrer Produkte durch Dritte und auch negative Auswirkungen von Rüstungs- und Dual-Use-Gütern, die sowohl zivil als auch militärisch verwendet werden können, sind von den Pflichten ausgeschlossen. Zudem sind keine ausdrücklichen Sanktionen vorgesehen, wenn Unternehmen ihren erstellten Klimaplan nicht umsetzen. Und doch ist die CSDDD ein wichtiger Schritt für Menschenrechte und Umweltschutz weltweit.
Als entwicklungspolitische und humanitäre Organisation fordern wir als Teil der Initiative Lieferkettengesetz trotz der erschwerten Umstände durch die vorgezogene Bundestagswahl 2025 eine zeitnahe und ambitionierte Überführung der CSDDD in deutsches Recht. Das schafft auch Klarheit und gleiche Wettbewerbsbedingungen für Unternehmen – weshalb sich übrigens auch viele von ihnen für eine EU-Richtlinie ausgesprochen hatten.