Äthiopien: Jedes fünfte Kind im Aufnahmezentrum für Geflüchtete akut unterernährt
Während die Welt auf den Konflikt in der äthiopischen Region Tigray schaut, entwickelt sich im Westen des Landes eine weitere humanitäre Krise. Auf der Flucht vor Krieg, Überschwemmungen und Hunger überqueren immer mehr Menschen die Grenze vom Südsudan nach Äthiopien. Im Februar erreichten etwa doppelt so viele Menschen das Pagak-Aufnahmezentrum für Geflüchtete und Asylsuchende wie in den vergangenen Monaten. Eine Untersuchung von Aktion gegen den Hunger dort zeigt: Eines von fünf Kindern aus dem Südsudan ist unterernährt.
Das Pagak-Aufnahmezentrum für Geflüchtete wurde als Erstaufnahmestätte konzipiert und ist komplett überfüllt: Auf einer Fläche von etwa zwei Fußballfeldern suchen derzeit rund 16.000 Menschen Zuflucht. Der Bedarf an Wasser, sanitären Einrichtungen, medizinischer Versorgung und Nahrungsmitteln übersteigt die Kapazitäten des Camps. In einer großangelegten Untersuchung im Februar mit 1.979 geflüchteten Kindern unter fünf Jahren hat Aktion gegen den Hunger festgestellt, dass 20,8 Prozent der Kinder akut unterernährt sind, sieben Prozent davon schwer – der tödlichsten Form der Unterernährung. Das UN-Flüchtlingswerk stuft bereits eine halb so hohe Prävalenz als schwerwiegenden Notfall für die öffentliche Gesundheit ein.
„Wir hatten ein gutes Leben und genug zu essen, bis mein Mann im Bürgerkrieg starb. Ich bin hierhergekommen, weil meine Kinder hungerten“, sagt Nyabuony Puoch. Die 30-jährige Mutter von vier Kindern musste sieben Tage lang zu Fuß laufen, bis sie sich Geld für den Transport nach Pagak leihen konnte. Ihre jüngste Tochter wird derzeit wegen Unterernährung behandelt. „Das Leben ist hier sehr schwierig. Wir haben nicht genug Essen, keine gute Unterkunft und keine Seife. Wir sammeln Brennholz und wilde Früchte und versuchen mit Arbeit, wie dem Transport von Wasser für die Händler, ein wenig Geld zu verdienen, um uns Essen zu kaufen“, sagte Puoch. „Aber lieber leide ich hier, als dass ich zurückgehe“. Mehr als 70 Prozent der Menschen im Aufnahmezentrum sind Frauen und Kinder. Nach mehrtägigen oder teilweise wochenlangen Reisen kommen viele der Asylsuchenden unterernährt im Camp an.
Umsiedlungen von tausenden Geflüchteten blockiert
Geflüchtete werden normalerweise innerhalb weniger Wochen nach ihrer Ankunft in Pagak in offizielle Camps umgesiedelt. Einschränkungen durch die COVID-19-Pandemie blockieren derzeit jedoch die Registrierungen und Umsiedlungen. Tausende Familien stecken so in überfüllten Geflüchteten-Camps fest und sind dem Risiko von Hunger und Krankheiten ausgesetzt.
Das Camp in Pagak verfügt über eine unzulängliche Wasser- und Sanitärversorgung, kein Krankenhaus und nur über geringe Kapazitäten, um die Grundbedürfnisse zu decken. Die Bedingungen im überlasteten Aufnahmezentrum fördern den Ausbruch und die rasche Ausbreitung von Krankheiten wie Cholera und COVID-19. Das Ausmaß der Ausbreitung von COVID-19 ist aufgrund unzureichender Testmöglichkeiten nicht bekannt. Viele Geflüchtete benötigen zusätzliche medizinische Behandlung wegen Unter- und Mangelernährung oder anderen gesundheitlichen Problemen. Das nächste Gesundheitszentrum ist jedoch mehr als 16 Kilometer entfernt und es gibt kein zuverlässiges Transportsystem.
Appell an Äthiopische Regierung: Umsiedlungen müssen wiederaufgenommen werden
Aktion gegen den Hunger fordert die äthiopische Regierung auf, die Registrierung für Geflüchtete und Asylsuchende wiederaufzunehmen, damit die Behörden tausende schutzbedürftige Familien in offizielle Lager umsiedeln können. Mit der Unterstützung des Welternährungsprogramms UNICEF und der UN-Flüchtlingsagentur führt Aktion gegen den Hunger im Pagak-Aufnahmezentrum lebensrettende Ernährungsbehandlungen für kleine Kinder durch. Die Organisation verteilt zudem energiereiche Kekse an Kinder, schwangere Frauen und stillende Mütter und hat ihr Notfall-Ernährungsprogramm erweitert.
„Pagak ist kein Geflüchtetenlager. Es ist ein Empfangszentrum, in dem die Menschen Tage oder Wochen und nicht Monate bleiben sollen “, sagt Panos Navrozidis, Länderdirektor für Äthiopien von Aktion gegen den Hunger. „Wir fordern die äthiopische Regierung, die Vereinten Nationen und die Geber dringend auf, die Verlegung der Aufnahmeeinrichtung an einen geeigneteren Ort zu unterstützen. Wir müssen die Bedingungen dort verbessern und Gesundheits- und Ernährungsmaßnahmen, Lebensmittelrationen sowie grundlegende Wasser-, Sanitär- und Hygienedienstleistungen und eine Ausweitung der COVID-19-Tests sicherstellen. “
Aktion gegen den Hunger in Äthiopien
Aktion gegen den Hunger ist seit 1985 in Äthiopien aktiv und unterstützt die bedürftigsten Gemeinden bei der Versorgung mit Nahrungsmitteln und Wasser, leistet medizinische Hilfe und Hygieneaufklärung und bietet psychologische Unterstützung an. Im Jahr 2019 erreichten 615 Mitarbeiter mehr als 950.000 Menschen mit gender-sensiblen Programmen zur Förderung der Ernährungssicherheit und des Lebensunterhalts, der Bekämpfung von Mangelernährung sowie Wasser-, Sanitär- und Hygienedienstleistungen, die die langfristige Widerstandsfähigkeit fördern.
Hinweis an die Redaktionen: Panos Navrozidis, Länderdirektor für Äthiopien von Aktion gegen den Hunger, steht für Interviews zur Verfügung.