Krieg verursacht Hunger
Der Teufelskreis aus Konflikten und Hunger wird weltweit immer schlimmer. Die Zahl der Hungernden steigt. Das besorgniserregende Wiederaufleben des Hungers in der Welt geht Hand in Hand mit der Zunahme bewaffneter Konflikte und einer eklatanten Missachtung des Völkerrechts: Aktuell sind weltweit rund 733 Millionen Menschen mangelernährt. Gründe hierfür sind neben den Auswirkungen der Corona-Pandemie und wetterbedingten Katastrophen vor allem die steigende Zahl an Kriegen und Konflikten.
Auch bei näherer Betrachtung wird deutlich, dass Hunger und Krieg in einer Wechselbeziehung zueinander stehen. 2019 waren Konflikte der Auslöser für sechs der zehn schlimmsten Nahrungsmittelkrisen. 2020 waren alle Länder, in denen eine Hungersnot herrschte, von gewaltsamen Konflikten betroffen. 85 Prozent der akut an Hunger leidenden Menschen leben in Konfliktregionen! Ein Teufelskreis, den es zu durchbrechen gilt.
Zwangsvertreibung der Bevölkerung
Gewalt führt dazu, dass Menschen aus ihrem Zuhause fliehen und ihre gesamten Existenzgrundlagen zurücklassen müssen. Seit Beginn des Kriegs in der Ukraine ist die Zahl der Geflüchteten auf über 100 Millionen angestiegen – das sind mehr Menschen als zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs. Die Zwangsvertreibung von Menschen durch gewaltsame Konflikte hat weitreichende Folgen. Sie stürtzt ganze Gemeinschaften in Armut und verhindert landwirtschaftliche Produktion. Felder können in Kriegen und Konflikten nicht bestellt und Ernten nicht eingeholt werden, was dazu führt, dass Preise für Lebensmittel in schwindelerregende Höhen steigen – oder Nahrungsmittel gar nicht verfügbar sind. Der Krieg in der Ukraine hat gezeigt, welche schlagartigen Auswirkungen das auch auf die globale Ernährungssicherheit haben kann. In den letzten zehn Jahren hat die Zahl der Zwangsvertreibungen stetig zugenommen. Ende 2021 gab es weltweit 59 Millionen Binnenvertriebene – 90 Prozent von ihnen wurden durch Konflikte oder Gewalt vertrieben.
Zerstörung von Lebensgrundlagen
Die meisten Länder, die von bewaffneten Konflikten und Gewalt betroffen sind, sind ländlich geprägte Länder, die stark von der Landwirtschaft abhängig sind. Oft leben in diesen Gebieten extrem arme Menschen, deren gesamte Existenz auf der Landwirtschaft aufbaut. Insgesamt leben etwa 80 Prozent aller extrem armen Menschen auf der Welt in ländlichen Gebieten. Die negativen Auswirkungen von Kriegen auf die Landwirtschaft treffen daher vor allem die Menschen, die sowieso schon unterhalb des Existenzminimums leben und besonders vulnerabel sind. Felder und landwirtschaftliche Geräte werden zerstört, Vieh wird getötet und Ernten werden geplündert oder sogar verbrannt.
Wenn Menschen, die gewaltsam vertrieben wurden, versuchen zurückzukehren, haben sie oft Schwierigkeiten, ihr Land zurückzuerhalten. Die Enteignung von Land ist eine immer wiederkehrende Taktik, die in Konflikten häufig eingesetzt wird, um Gebiete zu kontrollieren und Reichtum anzuhäufen, um die Kriegswirtschaft zu stützen, aber auch um soziale und politische Kontrolle auszuüben. Die Enteignung von Land kann verschiedene Formen annehmen: Zahlung für die Rückgabe des Landes, Verkauf oder Versteigerung von Land, Beschlagnahme durch den Staat.
Die Auswirkungen von gewaltsamen Konflikten und Kriegen gehen immer zu Hauptlasten der Zivilbevölkerung. Grundlegende Dienstleistungen und Infrastrukturen, darunter Wasser-, Strom- und Gasversorgungssysteme sowie Schulen und Gesundheitseinrichtungen wie Krankenhäuser und Kliniken werden zerstört. Die Folgen dieser Zerstörung sind auch weit über das Ende von Konflikten hinaus spürbar.
Kontaminierung durch Minen
Sogenannte Antipersonenminen sind Landminen, die so konzipiert wurden, dass sie in der Nähe oder bei Kontakt mit einer Person explodieren. Auch Jahrzehnte nach Ende des Konflikts können diese Landminen noch Zivilist*innen töten oder verletzen. Minen werden zum Teil dafür eingesetzt, den Zugang zu landwirtschaftlichen Flächen zu behindern. Sie können auch dazu führen, dass Bevölkerungsgruppen aufgrund der verbleibenden Minen bestimmte Gebiete, einschließlich landwirtschaftlicher Flächen, meiden. Das bedeutet, dass Ernten nicht eingeholt werden können, bis das Land dekontaminiert ist. Die Kontaminierung durch Minen wirkt sich außerdem auf die Lebensgrundlagen aus, weil sie weidendes Vieh tötet und die Viehzucht beeinträchtigt.
Einschränkung des Zugangs für humanitäre Hilfe
Humanitäre Hilfe ist unerlässlich, um humanitäre Krisen und Hungersnöte zu verhindern und den Hunger in von Konflikten betroffenen Gebieten zu bekämpfen. Nach dem humanitären Völkerrecht sind die Konfliktparteien dafür verantwortlich, dass die Bevölkerung ausreichend mit Nahrungsmitteln, Wasser und anderen lebensnotwendigen Gütern versorgt wird. Dennoch werden humanitäre Organisationen in ihrer Tätigkeit zunehmend eingeschränkt, und zwar nicht nur durch die Konfliktparteien, sondern auch durch Staaten und Geber, die Gesetze und Maßnahmen erlassen oder internationale Sanktionen verhängen, die die Reaktionsmöglichkeiten der humanitären Organisationen einschränken und sich direkt auf die Gemeinschaften auswirken. Humanitäre Helfer*innen werden zudem oft selber zur Zielscheibe von Angriffen.
All diese Verhaltensweisen verstoßen gegen das humanitäre Völkerrecht, wenn sie in Zeiten bewaffneter Konflikte stattfinden. Die Auswirkungen von bewaffneten Konflikten sind weit über die eigentliche Konfliktdauer hinaus folgenschwer und beeinträchtigen die Wahrscheinlichkeit der Rückkehr von Vertriebenen, den erfolgreichen Wiederaufbau der Lebensgrundlagen und den Erfolg von Wiedereingliederung und Versöhnung noch lange nach dem Ende des Konflikts.
Hunger verursacht Kriege
Mangelnder Zugang zu Nahrung kann aber auch eine Ursache für Konflikte sein. Der Großteil aller gegenwärtigen Konflikte steht direkt oder indirekt mit Hunger im Zusammenhang. So können steigende Nahrungsmittelpreise und anhaltende Dürren beispielsweise dazu führen, dass Menschen auf der Suche nach Nahrung ihr Zuhause und damit auch ihre Existenzgrundlagen zurücklassen und Zuflucht in anderen Regionen und Ländern suchen. Zieht sich die Situation über einen längeren Zeitraum hin, kann es in Gebieten mit ohnehin schon knappen Ressourcen aus Gründen des Wettbewerbs zu Spannungen mit der ansässigen Bevölkerung kommen.
Hunger: Eine grausame Waffe des Krieges
Hunger wurde in Kriegen seit jeher als Waffe eingesetzt. Gleichwohl ist es besorgniserregend, dass wir auch in gegenwärtigen Krisen erleben müssen, dass Hunger in Kriegs- und Konfliktgebieten für politische Zwecke instrumentalisiert wird, um den Gegner systematisch zu schwächen. In vielen Ländern werden die Felder der Zivilbevölkerung verbrannt und ihre Ernten beschlagnahmt, Brunnen vergiftet, Märkte bombardiert, Wasserversorgungssysteme zerstört, Straßen und Häfen blockiert und so die Lieferung von Nahrungsmitteln und humanitärer Hilfe verhindert.
Internationales Recht stellt den Einsatz von Hunger als Kriegswaffe in der Resolution 2417 unter Strafe. Dies schließt die Verweigerung humanitärer Hilfe durch Regierungen in Konfliktgebieten ein. Wir fordern, dass Hunger niemals als Kriegswaffe eingesetzt werden darf und der Zugang zu Nahrungsmitteln während Konflikten gewährleistet werden muss.
Krieg und Hunger in Zahlen
- Anfang 2023 wurden mindestens 110 bewaffnete Konflikte auf der Welt gezählt.
- Die Zahl der Menschen in Konfliktregionen, die von Hunger betroffen sind, ist seit 2018 um 80 Prozent angestiegen.
- 11 Länder, in denen besonders brutale Gewalt vorherrscht, zählten 2022 zu den sogenannten „Hunger Hotspots“ – Länder, die am stärksten von Hunger betroffen sind.
- 258 Millionen Menschen weltweit leiden akut Hunger – 85 Prozent von ihnen aufgrund von Kriegen und Konflikten.
- 75 Prozent aller chronisch unterernährten Kinder unter fünf Jahren leben in Ländern, die von bewaffneten Konflikten und Gewalt betroffen sind.
- 90 Prozent aller Menschen, die auf der Flucht im eigenen Land sind, mussten ihr Zuhause aufgrund von gewaltsamen Konflikten verlassen.
- Im Jahr 2022 stieg die Zahl der gewaltvollen Angriffe gegen Zivilist*innen weltweit um 12 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Zahl der Todesopfer dieser gezielten Angriffe stieg 2022 weltweit um mindestens 16 Prozent.