Der Kampf gegen den Hunger sieht düster aus. Expert*innen beschreiben, wie das Recht auf Nahrung realisiert werden kann.
733 Millionen Menschen weltweit leiden an Hunger. Laut Welthunger-Index 2024 ist die Lage in 42 Ländern ernst oder sehr ernst, am gravierendsten in Afrika südlich der Sahara und in Südasien. Das Ziel Zero Hunger bis 2030 scheint unerreichbar – oder?
Moderiert von Christiane Grefe, haben Expert*innen aus Politik, Humanitärer Hilfe und Aktivismus unter dem Titel Choosing Zero Hunger – Das Recht auf Nahrung in der Klimakrise verteidigen diskutiert: Renate Künast, Bundestagsabgeordnete Bündnis 90/Die Grünen, Dr. Martin Frick vom Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP), Audrey MacLean, Jugenddelegierte für nachhaltige Entwicklung und Jan Sebastian Friedrich-Rust, Geschäftsführer Aktion gegen den Hunger. Im Rahmen des 7. Human Rights Film Festival Berlin widmeten sie sich anlässlich des 20-jährigen Jubiläums der Leitlinien zum Recht auf Nahrung des Welternährungsausschusses (CFS) den Fragen, welche Fortschritte in der weltweiten Hungerbekämpfung erzielt wurden und wie eine Zukunft erreicht werden kann, in der das Recht auf Nahrung für alle erfüllt ist – trotz neuer Bedrohungen durch die Klimakrise.
Fünf Unternehmen kontrollieren bis zu 90 Prozent des gesamten Getreidehandels
Aktuell haben wir es mit einem nie dagewesenen Level an Krisen zu tun, wodurch einzelne von der Öffentlichkeit vergessen werden. Das sehe man am Beispiel Sudan, wo mehr als die Hälfte der Bevölkerung – 25,6 Millionen Menschen, um genau zu sein – unter akutem Hunger leidet, was international jedoch kaum Beachtung findet, kritisiert Dr. Martin Frick.
Durch die vielen Krisen sind Bedarfe historischen Ausmaßes entstanden, gleichzeitig gibt es historische Mittelkürzungen. Das mache es trotz guter Ansätze wie der Agrarökologie schwierig, dem Ziel Zero Hunger näherzukommen, sagt Jan Sebastian Friedrich-Rust. Der Kern des Problems: Fünf Unternehmen kontrollieren bis zu 90 Prozent des gesamten Getreidehandels und machen so mit dem Grundrecht auf Nahrung Profite. Ein weiteres Problem: Die Leitlinien zum Recht auf Nahrung sind freiwillig. Dadurch gebe es kein Sanktionsinstrument, mit dem sie durchgesetzt werden könnten, kritisiert Audrey MacLean.
Der Globale Norden muss sich einschränken
Nur 17 Prozent der Sustainable Development Goals (SDG) sind auf gutem Weg zur Umsetzung, sagt Audrey MacLean. Beim SDG2, also Zero Hunger, sehe es düster aus. Nach aktuellem Stand würden weiter noch 590 Millionen Menschen von akutem Hunger bedroht sein. Gerade der globale Norden müsse sich einschränken und Abhängigkeiten abbauen, um die SDGs zu erreichen. Doch genau das sei der Knackpunkt: Die Bereitschaft dazu sei nicht da.
Nach Ansicht von Martin Frick brauche es einen Willen, das gemeinsam anzugehen. Selbst zwischen den verschiedenen Ressorts einer Regierung sei es schwierig zu sagen: Wir setzen uns zusammen. Mittlerweile sei der Klimawandel jedoch ein zentrales Thema geworden, was auch einige Skeptiker*innen verstünden.
Renate Künast sieht die EU in der Verantwortung. Im Strategischen Dialog zur Zukunft der EU-Landwirtschaft gebe es vielversprechende Ansätze. Nun müsse man über die mittelfristige Finanzplanung reden und im EU-Haushalt Cluster bilden, etwa einen „Umwelt-Klima-Agrar“-Topf, damit die Ressorts gezwungen werden, miteinander zu reden.
Deutschland muss eine Vorreiterrolle im Bereich Ernährung einnehmen
Die Hauptursache von Hunger sind Konflikte und Krieg, hier brauche es laut Jan Sebastian Friedrich-Rust mehr Engagement, diese zu bekämpfen. Denn viele Kriege seien Verteilungskriege in Bezug auf Rohstoffe. Die Regierungen müssten überlegen, welche Rollen sie in Friedensprozessen einnehmen können. Im Bereich Ernährung sollte Deutschland sich bemühen Vorreiter zu sein. Es müssten nicht immer finanzielle Mittel sein, auch durch Gesetzgebung könne viel erreicht werden und Unternehmen in die Schranken gewiesen werden.
Umgekehrt kann auch die Wirtschaft an einem positiven Wandel mitwirken. So sei die Firma Otto laut Martin Frick etwa von Anfang an beim Lieferkettengesetz dabei gewesen. Als Unternehmen bei Gesetzesbildungen mitzuwirken, habe auch einen Vorteil, da man zum Zeitpunkt der Umsetzung des Gesetzes den Regelungen schon entspreche. Business as usual werde für Unternehmen mittel- bis langfristig jedenfalls nicht mehr ausreichen, um mithalten zu können.
Renate Künast appelliert auch an die Bürger*innen, Mails an alle Regierungsparteien zu schreiben. Gerade beim Lieferkettengesetz lohne es sich, jetzt Druck zu machen, damit das EU-Gesetz der abgeschwächten Variante aus Deutschland vorgezogen werde.
Nach vorne geht es nur gemeinsam
Es müsse ein Momentum der Skalierbarkeit geschaffen werden, sagt Jan Sebastian Friedrich-Rust. Wichtig sei dafür, die Jugend einzubeziehen. Der Klimaprotest habe bereits viele Akzente gesetzt. Nun müssten wir überlegen, wie die Jugend für das Thema Ernährung begeistert werden kann. Denn auch die Ursachen von Hunger beträfen uns alle.
Auch die NGOs müssten sich an die eigene Nase fassen und überlegen, wie gemeinsam Reichweite geschaffen werden kann. Zustimmung bekommt Jan Sebastian Friedrich-Rust von Martin Frick: In den letzten Monaten habe er eine unglaubliche Solidarität in der Community gesehen; man habe gemeinsam mit einer Stimme gesprochen.