Ansteckende Krankheiten fordern ihren Tribut vor allem in bereits gefährdeten Gemeinschaften. Das haben wir bereits während der Corona-Pandemie gesehen. Fast drei Jahre nach den ersten Lockdowns kämpft die Welt noch immer mit den Auswirkungen: Vor allem von Armut betroffene Menschen, ältere Menschen und Kinder haben gelitten und tun dies mitunter noch immer. Gerade die Kleinsten sind dabei oft am anfälligsten für tödliche, ansteckende Krankheiten. Eine davon ist Cholera – eine Krankheit, die eigentlich ungefährlich sein könnte, aber in Gegenden mit schlechter Sanitärversorgung gerade wieder viele Menschenleben kostet.
Die Cholera trifft Haiti in einer schweren Lage
Neben Cholera-Ausbrüchen im Libanon, Afghanistan oder Pakistan kämpft auch Haiti gerade mit Tausenden Fällen der durch Bakterien verursachten Durchfallerkrankung. Im Inselstaat in der Karibik sind 40 Prozent der Cholera-Fälle auf Kinder zurückzuführen: Zehnjährige liegen mit schwerem Durchfall und kritisch dehydriert in Krankenhausbetten, Zweitklässler werden zu Notfällen, nachdem sie unsauberes Wasser getrunken haben. Selbst Neugeborene sind schwer erkrankt. Nur drei Jahre nach dem letzten Cholerafall ist die Krankheit nun ins Land zurückgekehrt und hat bereits Dutzenden von Menschen das Leben gekostet. Bis Anfang Dezember 2022 standen mehr als 13.500 Menschen im Verdacht, sich mit der Krankheit angesteckt zu haben, und mehr als 180 hatten zu diesem Zeitpunkt bereits ihr Leben verloren. Die Kinder in Haiti – vor allem diejenigen, die unter großem Hunger leiden – sterben. Denn Hunger macht den Körper besonders anfällig für die Krankheit.
Die Cholera ist in Haiti zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt wieder ausgebrochen: Die Haitianer*innen sind mit einer instabilen politischen Krise und einem beispiellosen Sicherheitsrisiko konfrontiert. In Port-au-Prince, der Hauptstadt, haben Banden die Kontrolle übernommen und den Zugang zu lebensrettenden Ressourcen wie Treibstoff, Lebensmitteln und Medikamenten abgeschnitten. Sie greifen Bürger an, entführen Kinder und blockieren Straßen und damit wichtige Transportwege führ Nahrungsmittel und sauberes Wasser.
Wer aus der Stadt fliehen kann, ist aber noch lange nicht sicher, denn in den ländlichen Gebieten Haitis fehlt es umso mehr an sauberem Wasser und Nahrung.
Eine kürzlich durchgeführte IPC-Analyse ergab, dass 4,7 Millionen Haitianer*innen von akuter Ernährungsunsicherheit betroffen und 19.000 von einer Hungersnot bedroht sind. Kinder im ganzen Land sind schwer mangelernährt. Das macht es der Cholera leicht. Die Krankheit, die sich häufig in Form von Durchfall, Erbrechen und Dehydrierung äußert, verschlimmert ihren Zustand und zehrt an ihren letzten Kräften. Die ärmsten Gemeinden Haitis sind am stärksten betroffen: Dort treten 90 Prozent aller Cholera-Fälle des Landes auf.
Nebst Toiletten und Waschstationen werden auch Wohnräume von Cholera-Patient*innen oder gefährdeten Menschen desinfiziert.
Haiti ist derzeit nicht das einzige Land, das mit einer Cholera-Krise konfrontiert ist. Weltweit sind vor allem von Armut geprägte Gegenden betroffen, so gab und gibt es schwere Ausbrüche im Libanon, in Syrien oder in Afghanistan. Schuld daran ist neben schlechter Hygienebedingungen etwa in Geflüchtetenlagern auch der Klimawandel. Zu sehen ist das etwa in Pakistan: Das Land war 2022 der schlimmsten Flutkatastrophe seit Beginn der Wetteraufzeichnungen ausgesetzt. Seit Monaten stehen weite Teile des Landes unter Wasser, das nicht abfließen kann – eine Brutstätte für das Cholera-Bakterium.
Aber zurück nach Haiti: Roseval Supreme, Landesdirektor von Aktion gegen den Hunger, reagiert zusammen mit unseren Teams vor Ort auf die Krise – und zwar so schnell wie möglich. Er hat mit uns über den Ausbruch der Krankheit gesprochen – und darüber, welche schweren Auswirkungen die Situation nun haben könnte. (Das Gespräch wurde von unserer Kollegin Kenneal Patterson von Aktion gegen den Hunger USA geführt, leicht gekürzt und bearbeitet.)
Waschstationen mit Seife sind vor allem neben Latrinen essentiell, um Cholera-Ausbrüche einzudämmen.
Warum breitet sich die Cholera in Haiti gerade jetzt so schnell aus?
Roseval Supreme: Der Mangel an sanitären Einrichtungen ist vielleicht das größte Problem: Wir haben viel zu wenige Toiletten oder saubere Handwaschstationen – manchmal fehlt es sogar an allem. Viele wissen nicht, wie sie der Krankheit vorbeugen können. Selbst wer weiß, dass sauberes Wasser und Seife elementar sind, hat nicht immer beides zur Verfügung.
Gibt es keine oder nur stark verschmutzte Latrinen, müssen Menschen dort im Freien ihr Geschäft verrichten. Oft tun sie das in der Nähe ungeschützter Wasserquellen, um sich wenigstens dort die Hände zu waschen. Dabei wird das Wasser jedoch schnell für alle verunreinigt. So geraten schnell Tausende Menschen in Gefahr. Die Behandlung von Cholera ist in solchen Gegenden schwierig, insbesondere wenn auch unsere Einsatzkräfte keinen Zugang zu sauberem Wasser, Handwaschstationen oder dekontaminierten Latrinen haben.
Wie hat die instabile Sicherheitslage in Haiti den Ausbruch der Cholera verschlimmert?
Supreme: Die Sicherheitsprobleme im ganzen Land – und insbesondere in Port-au-Prince – haben es den Teams nahezu unmöglich gemacht, wichtige sanitäre Einrichtungen und Wasseraufbereitungsanlagen für die Bevölkerung zugänglich zu machen sowie die am stärksten betroffenen Gemeinden zu erreichen.
Das ist ein großes Hindernis. Wir brauchen Ressourcen, um diese Krise zu bewältigen. Ohne Medikamente, Trinkwasser, Handwaschstationen, Latrinen und Material zum Desinfizieren wird sich die Epidemie nur ausweiten. Der anhaltende Konflikt macht es fast unmöglich, diese Hilfe zu leisten.
Wie reagieren die Gemeinden auf Choleraausbrüche?
Supreme: Fehlinformationen über Cholera sind weit verbreitet und können tödliche Folgen haben. Leider sind Cholera-Infizierte oft mit einem großen Stigma behaftet. Sie werden als schmutzig abgestempelt und in der Gemeinschaft geächtet. Das erschwert es uns, Ausbrüche einzudämmen.
Wir müssen die Menschen überzeugen, dass jeder ein Opfer der Cholera sein kann – vor allem Kinder. Sie sind am stärksten von der Situation betroffen, zumal viele bereits stark unterernährt sind. Ihr Immunsystem ist geschwächt und kann daher die gefährlichen Symptome der Cholera nicht bewältigen. Deshalb sterben bereits Hunderte Kinder in Haiti.
Diesen Brunnen hat Aktion gegen den Hunger bereits im Jahr 2008 zusammen mit den Bewohner*innen eines Dorfes errichtet. Heute versorgt er Familien mit sauberem Wasser.
Wie reagiert Aktion gegen den Hunger auf den Ausbruch der Krankheit?
Supreme: Aktion gegen den Hunger ist seit langem führend im Kampf gegen die Cholera in Haiti, aber dieser Ausbruch ist aufgrund der politischen und sicherheitspolitischen Krisen eine noch größere Herausforderung als es die vergangenen Ausbrüche waren. Unsere Reaktion ist zurzeit dreigleisig: Unsere Prioritäten liegen in den Bereichen Hygiene, Prävention und Behandlung.
Wir desinfizieren Bereiche, in denen es zu Ausbrüchen kam oder kommen könnte, etwa Latrinen oder auch Zimmer, in denen sich Erkrankte aufgehalten haben. Wichtig ist aber auch die Aufklärung der Bevölkerung. Das allein reicht aber nicht aus: Wir müssen auch den Zugang zu wichtigen Hilfsgütern wie Latrinen sicherstellen. Bislang haben wir 20 Handwaschstationen gebaut und planen weitere.
Die Ausbreitung verhindern können wir wiederum neben Desinfektion auch mithilfe von Wasseraufbereitung. Cholera-Bakterien vermehren sich schnell in stehendem Gewässer, insbesondere, wenn es verunreinigt ist, aber auch in schmutzigen Flüssen am Uferrand. Wir verwenden Wasserreinigungstabletten, um die Gemeinden mit Trinkwasser zu versorgen.
Außerdem behandeln wir infizierte Personen in Gesundheitszentren mit sogenannten oralen Rehydrationspillen und stabilisieren sie mithilfe von intravenöser Flüssigkeitszufuhr. Diese Gesundheitszentren benötigen jedoch dringend Notfallausrüstung, Medikamente und Betten.
Wird Cholera schnell und richtig behandelt, sind die Heilungsschancen sehr gut. Hier werden zwei Menschen aus Haiti mit Flüssigkeit über einen Tropf versorgt.
Wie wird sich die Krise in den nächsten Monaten entwickeln?
Supreme: Es ist unmöglich zu sagen, wie schlimm die Situation noch werden wird, aber wir wissen, dass sich die Krankheit schnell ausbreitet. Die Kinder sind jede Sekunde eines jeden Tages gefährdet.
Wir haben acht Nothilfeteams eingestellt und bilden sie für den Einsatz vor Ort aus. Wir haben lebenswichtige Hilfsgüter an 3.000 Familien verteilt (Anm. d. Red.: Stand Dezember 2022). Wir haben zahllosen Haitianer*innen Aufklärungsmaterial zur Verfügung gestellt. Jeden Tag konzentrieren sich unsere Teams darauf, proaktiv einzugreifen und in allen Gemeinden, in denen wir tätig sind, das richtige Hygieneprotokoll zu demonstrieren.
Aber das ist nicht genug. Wir haben noch einen weiten Weg vor uns, bis Haitis Kinder vor den Auswirkungen sicher sind. Cholera ist eine Krankheit der Armut – sie tritt nur dort auf, wo die Ressourcen und die Infrastruktur extrem begrenzt sind. Gemeinsam müssen wir für die Kinder und die Zukunft Haitis weiter für Gleichheit kämpfen, die Systeme verbessern und die Widerstandsfähigkeit gegen diese und künftige Krisen stärken.