
Vor der Wahl haben sich die Positionen von SPD und Union teilweise deutlich von unseren unterschieden. Was nun im Koalitionsvertrag steht
Der Vertrag zwischen den Koalitionsparteien bestimmt die politische Leitlinie Deutschlands für die kommenden vier Jahre. Wir haben uns angeschaut, worauf sich die künftige Regierung im Bereich der Entwicklungspolitik und humanitären Hilfe geeinigt hat. Es gibt einige positive Signale, aber insgesamt noch deutlich Luft nach oben, um eine Welt ohne Hunger zu realisieren.
Eine erste Übersicht über unsere Einordnung gibt dir unser Schnell-Check. Mehr Infos sowie unsere Einordnung zur Themenauswahl findest du im Text.
Hungerbekämpfung
Im Koalitionsvertrag wird die Hungerbekämpfung explizit erwähnt, was sehr zu begrüßen ist. Details, wie die neue Regierung diese angehen möchte, werden jedoch nicht genannt – daher ist gerade vor dem Hintergrund der geplanten Absenkung der ODA-Quote fraglich, wie die Hungerbekämpfung ausreichend finanziert und programmiert werden soll. Weder das Recht auf Nahrung, die Bekämpfung von akuter Mangelernährung noch die vielfältigen Ursachen von Hunger finden Erwähnung. Auch der Punkt Prävention von Hungerkrisen, gerade in bestimmten Regionen der Welt wie im Sudan, in Gaza oder am Horn von Afrika bleiben dahingehend unerwähnt. Das ist eine verpasste Chance der Präzision von einer abgestimmten humanitären Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit für das SDG2.
Ernährung und Landwirtschaft
Die neue Bundesregierung erkennt zumindest an, dass in der Landwirtschaft in Deutschland und der EU globale Verpflichtungen und Verantwortungen eine Rolle spielen, ohne jedoch zu beschreiben, wie diese weiter gestaltet werden könnten.
Ansonsten ist der Ansatz zur globalen Umgestaltung der Ernährungssysteme eher von einem Weiter-so geprägt: Maßnahmen gegen die Spekulation mit Lebensmitteln werden nicht explizit genannt. Auch eine stärkere Förderung kleinbäuerlicher Strukturen oder eine umfassende Strategie zur globalen Ernährungssicherheit fehlen. Die Agrarökologie als nachhaltiger und sozial gerechter Ansatz wird ebenfalls nicht erwähnt – stattdessen hält die neue Bundesregierung an Ansätzen wie der Bioökonomie und Ökolandbau fest, die unklar definiert sind und soziale Aspekte außer Acht lassen. Die innenpolitische Ausrichtung der relevanten Fragestellungen lässt auch auf eine entsprechende mangelnde Politikkohärenz bei der Umsetzung des Rechts auf Nahrung im internationalen Kontext schließen – was wir kritisch beobachten werden.
Entwicklungszusammenarbeit
Union und SPD bekennen sich zwar zur Entwicklungszusammenarbeit (EZ), wollen sie aber klar als interessenorientiertes Instrument nutzen, um beispielsweise Fluchtursachenbekämpfung zu betreiben. Das verfehlt aus unserer Sicht den Zweck der EZ, nämlich die Einhaltung und Umsetzung von Menschenrechten, damit alle Menschen in Würde leben können. Immerhin soll die Stärkung von Frauen und Mädchen in der EZ fortgesetzt werden. Ein klares Bekenntnis zu einer feministischen Außen- und Entwicklungspolitik fehlt jedoch.
Positiv zu bewerten ist, dass das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) nicht mit dem Auswärtigen Amt (AA) zusammengeführt, sondern als eigenständiges Ministerium erhalten bleiben soll. Wiederum ist der Verweis auf eine ambitionierte Post-Agenda-2030 eine Alarmglocke, denn die neue Groko ist verantwortlich für die Erreichung der Nachhaltigkeitsziele in den kommenden vier Jahren – auf eine nachgeordnete Agenda zu setzen ist zwar wichtig, kann aber auch ein Indiz auf eine Verantwortungsverschiebung auf die nächste Regierung bedeuten. Hier hätten wir uns mehr erwartet.
Besorgniserregend ist, dass die künftige Regierung plant, die sogenannte ODA-Quote (0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens), also die öffentlichen Mittel für internationale Hilfe, zu senken. Das ist kein positives Signal für den desaströsen Haushaltsentwurf der Ampel-Regierung für 2025 – bleibt zu hoffen, dass es nicht zu erneuten Kürzungen kommen wird. In den vergangenen Jahren hat Deutschland die Quote nur erreicht, da auch inländische Kosten für die Flüchtlingsversorgung einberechnet wurde. Derartige Mittelkürzungen führen in eine Sackgasse, denn unzureichende Finanzierungen und Maßnahmen im Bereich der humanitären Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit haben mittel- und langfristig fatale Folgen für das Recht auf Nahrung und den Schutz von Menschenleben. Auch perspektivisch höhere Kosten sind die Folge.
Humanitäre Hilfe
Erfreulich ist, dass für die humanitäre Hilfe im Koalitionsvertrag eine "auskömmliche Finanzierung" geplant und der Ausgleich für den Wegfall anderer Geber geprüft wird. Gleichzeitig sind die Aussagen zur ODA-Quote eher ernüchternd und dahingehend widersprüchlich. Wie genau die humanitäre Mittelausstattung aussehen soll, wird nicht benannt. Dabei hat Deutschland, immerhin zweitgrößter humanitärer Geber, hier die zentrale Rolle als verlässlicher Partner zu erfüllen.
Positiv ist, dass die vorausschauende humanitäre Hilfe und Frühwarnsysteme gefördert werden sollen, leider ist kein konkretes Bekenntnis hervorgehoben, wie beispielsweise die Fortführung der bisherigen Selbstverpflichtung von fünf Prozent der humanitären Mittel. Was fehlt ist ein klares Bekenntnis zur Bedarfsorientierung, auch die humanitären Prinzipien als Leitlinie werden nicht erwähnt. Wir hoffen sehr, dass der bisherige Trend einer Versicherheitlichung der Debatte um internationale Solidarität sich nicht praktisch in der Umsetzung widerspiegeln wird und humanitäre Hilfe von geopolitischen Interessen unangetastet bleibt.
Frieden und Krisenprävention
In Bereich der Themen Verteidigung, Konfliktprävention und Frieden ist zu erkennen, dass der Koalitionsvertrag von geopolitischen Spannungen geprägt ist – dem wird ein Schwerpunkt auf nationale Sicherheit entgegengesetzt. Was fehlt, ist eine Vorstellung, wie in volatilen Umgebungen Krisen beendet und vorgebeugt werden können. Unklar wie neue Regierung sich in ziviler Konfliktprävention engagieren will. Positiv zu bemerken ist, dass UN-Resolution 1325, die die Teilhabe von Frauen an Friedensprozessen bezweckt, Erwähnung findet; und dass die neue Bundesregierung multilaterale Strukturen wie die Vereinten Nationen stärken will.
Klima
Im Bereich der Klimapolitik zeichnet sich keine große Veränderung ab. Immerhin wird der Klimafinanzierung ein “fairer Anteil” zugerechnet. Wie die Absenkung der ODA-Quote, die auch den Bereich Klima beinhaltet, sich darauf auswirkt, ist allerdings unklar.
Zudem fehlt im Koalitionsvertrag die Klimagerechtigkeit als Leitbild der internationalen Klimapolitik – also das Prinzip, dass die Länder und Gemeinschaften, die am stärksten vom Klimawandel betroffen sind, am meisten unterstützt werden müssen, und dass Deutschland als historischer Verursacherstaat eine besondere Verantwortung zukommt.
Insgesamt sind ambitioniertere Maßnahmen nötig, um die Klimaziele zu erreichen. Mit den Vorhaben der neuen Regierung bleibt ungewiss, wie das funktionieren kann.
Lieferkettengesetz
Das nationale Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) soll laut Koalitionsvertrag gestrichen werden – ein unnötiger Rückschritt. Zum einen muss Deutschland sowieso die EU-Richtlinie umsetzen, zum anderen bedeutet das für Unternehmen, die bisher mit dem Lieferkettengesetz geplant haben, wieder Unsicherheit.
Im Koalitionsvertrag bekennen sich SPD und Union zu den Menschenrechten und betonen auch die Rolle einer lebendigen Zivilgesellschaft dabei. Ein klarer Bezug auf die Gesellschaften in Ländern außerhalb des Globalen Nordens wird dabei nicht gemacht.
Im Bereich der deutschen Entwicklungszusammenarbeit soll das bürgerschaftliche Engagement zum Beispiel durch Nichtregierungsorganisationen weiter gefördert werden. Auch in Ländern des Globalen Südens sollen zivilgesellschaftliche Akteure gestärkt werden. Es bleibt zu hoffen, dass diese Ambitionen auch umgesetzt werden.
Das Völkerrecht findet leider nur knappe Erwähnung. Grundsätzlich wird sich zwar zum Schutz dessen bekannt, uns fehlt jedoch eine explizite Erwähnung des internationalen humanitären Völkerrechts, beispielsweise bezüglich des Schutzes der Zivilbevölkerung in Konflikten. SPD und Union verpassen somit die Chance, die Rechenschaftspflicht zu stärken – denn es gibt zwar viele Regeln, wenn diese aber gebrochen werden, gibt es oftmals keine Konsequenzen. Die Strafverfolgung wurde nur in Bezug auf die Ukraine erwähnt, aber auch weitere Krisen sind im Zeitalter der Straflosigkeit zu beachten, um Menschenleben und ihre Lebensgrundlagen zu schützen. Besonders bitter ist, dass Hunger als Kriegswaffe und deren Bekämpfung überhaupt nicht genannt wird. Bewaffnete Konflikte sind immer noch der größte Treiber von Hunger und Mangelernährung.